: Michael Kempe
: Die beste aller möglichen Welten Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner Zeit
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104908045
: 1
: CHF 16.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Michael Kempe hat die Leibniz-Biographie für unsere Zeit geschrieben: Sieben ausgewählte Tage, die für das Ganze stehen, sieben Facetten eines großen und widersprüchlichen Bildes«, schreibt  Daniel Kehlmann zu diesem Buch über das große deutsche Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Der war ein Tausendsassa, Philosoph, Erfinder, Mathematiker, Reisender und Netzwerker. Hier lernen wir seine ganze Welt kennen, sein Leben, Denken und Arbeiten. Elegant erzählt der Historiker und Leibniz-Kenner Michael Kempe von sieben Tagen in Leibniz' übervollem Leben. Sieben Tage in sieben verschiedenen Jahren, an denen Leibniz' Leben und Werk eine neue Wendung nehmen. 1675 treffen wir ihn in Paris an, wo er morgens im Bett sitzt und arbeitet, umgeben von einem Berg an Notizzetteln - an diesem Tag bringt er erstmals das Integralzeichen »?« zu Papier. Es ist ein großer Moment in der Mathematik - und ein zeitlebens währender Streit mit Isaac Newton und dessen Anhängern. In Hannover plaudert Leibniz 1696 am Hof mit der Kurfürstin Sophie über den Trost in der Philosophie. Sein wohl größter Wurf aber ist die Skizze einer Maschine, die mit den Zahlen 0 und 1 rechnet - Grundlage des Digitalcodes und damit des Computers. Doch auch als Philosoph hat Leibniz uns heute noch viel zu sagen. Gott mag unter allen möglichen Welten die beste geschaffen haben, wie er in seiner berühmten »Theodizee« andeutet, doch der Mensch muss sie durch sein Handeln weiter verbessern. Wissenschaft braucht nicht nur den Bund mit der Macht, sondern auch die Freiheit des Denkens. Hinter Perücke und Gehrock zeigt sich Leibniz so als modernes Individuum. Mit seinem grenzenlosen Optimismus fordert er uns auf, nie die Hoffnung aufzugeben, sondern Lösungen zu suchen. Eine spannende, vergnügliche und lebendige Reise in den Kopf eines der größten deutschen Denker. »Michael Kempe hat die Leibniz-Biographie für unsere Zeit geschrieben. Es ist schwer, diesem reichen Geist auch nur im Ansatz gerecht zu werden. Kempe aber gelingt es: Sieben ausgewählte Tage, die für das Ganze stehen, sieben Facetten eines großen und widersprüchlichen Bildes. « Daniel Kehlmann »Eine großartige Idee: von einzelnen Tagen auszugehen, an denen Leibniz' Leben und Werk eine neue Wendung nehmen, und schließlich eine ganze Welt zu entfalten. Ein besonders gelungenes biographisches Kunststück.« Rüdiger Safranski »Michael Kempe gelingt in diesem großartigen Portrait das Kunststück, Leibniz' Denken für unsere Zeit verständlich zu machen und ihn zugleich in seiner eigenen Zeit zu verorten, der Epoche des Barock und der frühen Aufklärung.« Jürgen Osterhammel, Autor von »Die Verwandlung der Welt«

Professor Dr. Michael Kempe, geboren 1966, ist Historiker und lebt in Hannover. Er studierte in Konstanz, wo er sich auch habilitierte. 2010 erschien sein Buch »Fluch der Weltmeere. Piraterie, Völkerrecht und internationale Beziehungen 1500-1900«. Er ist seit 2011 Leiter der Leibniz-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen beim Leibniz-Archiv der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Leibniz, dem Menschen, Philosophen, Historiker, Mathematiker, Bibliothekar und Erfinder.

Einleitung


Warum gibt es überhaupt eine Welt, und weshalb diese? Nicht schlecht für den Anfang. Diese Frage katapultiert uns mitten hinein ins Gedankenlabyrinth von Gottfried Wilhelm Leibniz. Unter der unendlichen Zahl von möglichen Welten gibt es eine beste, so lautet Leibniz’ Antwort, sonst würde Gott sich nicht entschlossen haben, überhaupt eine Welt zu erschaffen. Und wenn es eine bessere als diese gäbe, dann hätte Gottsie erschaffen. Ehe wir uns versehen, finden wir uns mit diesen Worten in einer Welt zwingender Vernunftschlüsse und rigoroser Rationalität wieder, die nicht nur den Menschen, sondern auch Gott den ehernen Gesetzen notwendiger Wahrheiten zu unterwerfen scheint. So über die Welt zu reden, ist uns heute fremd geworden. Zum einen, weil spätestens mit der kantischen Vernunftkritik solche Aussagen als unzulässige Grenzüberschreitung der menschlichen »ratio« erachtet werden. Zum anderen aber auch, weil schon lange niemand mehr in der Lage ist, sämtliche Wissenschaften zu überschauen und gleichzeitig in vielen Bereichen davon Exzellentes zu leisten. Umso faszinierter blicken wir zurück auf eine Zeit, als so etwas noch möglich schien, und auf Personen, die solches zu versuchen wagten. Einer von ihnen war Leibniz, als universales Genie – wie viele meinen – vielleicht einer der letzten seiner Art, auf jeden Fall Vertreter einer verlorenen Zeit: der im Barock beginnenden europäischen Frühaufklärung. Eine Zeit also, die für Vernunftoptimismus und Fortschrittsglaube steht, für die Zuversicht, die Menschheit werde auf der Basis einer rationalen Religion und vorangetrieben durch die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik in eine lichte Zukunft schreiten. Heute scheinen ein kritischer Blick auf Fortschritt und Wachstum, die Säkularisierung und die starke Ausdifferenzierung der Wissenschaften es unmöglich zu machen, an die Gedanken- und Ideenwelt des barocken Universalgelehrten anzuknüpfen.

Warum also eine Welt und dann noch ausgerechnet diese? Leibniz’ Antwort ist heute vor allem durch Voltaires Erzählung »Candide« von1759 bekannt und von ihr nahezu vollständig überblendet. Von der besten aller möglichen Welten zu reden, scheint daher nur möglich, wenn man diese Aussage kritisiert und verwirft, ja ins Lächerliche zieht und verspottet. Ob Voltaires Kritik an Leibniz so überhaupt zutrifft, ist heute umstritten. Um Leibniz’ Welt zu verstehen, seine Sicht der Dinge und die Zeit, die jene Weltsicht hervorgebracht hat, zu begreifen, ist es erforderlich, hinter diese Kritik zurückzugehen. Leibniz im Alltag zu begegnen, ihn im täglichen Vollzug seines Denkens und Schaffens zu beobachten, verspricht nicht nur eine spannende Reise in eine faszinierende Zeit. Es ermöglicht auch ein vertieftes Verständnis seiner Philosophie, Mathematik und universalwissenschaftlichen Unternehmungen. Auf einmal erscheint Leibniz gar nicht mehr so fremd, in vielem mag er seltsam vertraut wirken, denn mit so manchen seiner Fragen und Probleme schlagen sich auch die Menschen heutiger Zeit tagtäglich herum. Allongeperücke und Gehrock erscheinen dann nicht mehr als Ausdruck für Wesenszüge einer unerreichbaren Figur aus einer vergangenen Epoche. Stattdessen entpuppen sie sich als bloß äußerliche Hülle. Lässt man sie beiseite, tritt eine Person zutage, die Ähnlichkeit hat mit dem dauerkommunizierenden, zugleich in sich selbst zurückgezogenen, isolierten Ich der Gegenwart.

Unglück und Leid, Menschen, die einander quälen, und dann noch entsetzliche Naturkatastrophen wie das verheerende Lissaboner Erdbeben1755 – Voltaire lässt Candide, bestürzt, blutend und zitternd, zu sich selbst sagen: »Wenn dies die beste aller möglichen Welten ist, wie müssen dann erst die andern sein?«[1] Leibniz betrachtet das Problem von einer anderen Seite. Das, was ist, können wir rückwirkend nicht mehr ändern, wohl aber können wir versuchen, das Bestehende zu verbessern. Leibniz sieht die Welt von ihren Möglichkeiten her. Nicht alles, was möglich ist, muss und kann jemals Wirklichkeit werden. Aber zumindest einiges davon lässt sich realisieren, vielleicht mehr, als es zuweilen den Anschein hat. Würde alles in der Welt mit Notwendigkeit geschehen, könnte der Mensch für sein Handeln nicht verantwortlich gemacht werden, es gäbe keine Moral und auch keine Freiheit. Frei ist nicht nur Gott gewesen, zwischen verschiedenen möglichen Welten auszuwählen, auch und vor allem dem Menschen steht es frei, die Welt zu verändern, sie mitzugestalten.

Lange Zeit ist dieser Gedankengang lediglich als abstrakte Reflexion streng rationalistischer Prägung gedeutet worden. Leibniz ist jedoch keineswegs, wie oft behauptet, ein spröder Rationalist gewesen, der seinen Kopf stets in den Wolken trug und die Erfahrung verachtete. Vielmehr stand er mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Realität, in seinem Fall der Realität des barocken Fürstenstaates. Dabei suchte er nicht bloß die Unterstützung der Mächtigen für seine ehrgeizigen Weltverbesserungspläne, sondern zugleich die Unabhängigkeit von ihnen, um ein freier Wissenschaftler bleiben zu können. Freiheit lässt sich bei Leibniz konkret verorten. Nicht nur versunken am Schreibtisch, auch auf Reisen zwischen den Fürstenhöfen, denen er dient, öffnet sich ihm ein willkommener Freiraum. Seine Dienstreisen nach Braunschweig und Wolfenbüttel beispielsweise nutzt er eine Zeitlang gerne für Abstecher nach Ermsleben, einem kleinen Ort südlich von Halberst