: Oisín Curran
: Wenn ich jetzt nicht weine
: Luftschacht Verlag
: 9783903081772
: 1
: CHF 10.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 293
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wo waren wir, bevor wir geboren wurden? In einem anderen Leben? Einem früheren Tod? Currans Roman spielt in der kleinen Siedlung New Pond, in den Wäldern von Maine. Dort leben Iris und Myles mit ihrem elfjährigen Sohn innerhalb einer buddhistischen Gemeinde, die von dem autoritären Willard geleitet wird. Eines Tages stürzt der Junge während eines Streits seiner Eltern zu Boden und verkündet, sich an seine Geburt zu erinnern. Immer öfter verfällt er danach in einen tranceartigen Zustand, in welchem ihn Bilder bestürmen, um die er die fantastische Geschichte seines früheren Lebens spinnt. Darin ist er als Mädchen die Heldin einer abenteuerlichen Reise, auf der das Erreichen des Ziels immer wieder durch die wunderlichsten Begegnungen hintertrieben wird. Immer auf den Fersen ist ihr dabei ein unbekannter, mysteriöser Verfolger. Iris und Myles halten seine Erzählungen jedes Mal fest. Ist das Eintauchen in fantastische Welten zunächst wie eine Flucht aus der Realität, wird im Verlauf immer deutlicher, dass es diesem Jungen in seiner traumatischen Lage als Hilfe zum Verständnis der Welt dient, einer Welt des Jahres 1980, in welcher sich der kalte Krieg auf einem Höhepunkt befindet, einer Welt auch, in der vor allem sein Vater einem autoritären Führer folgt und seine Mutter schließlich schwer erkrankt. 'Wenn ich jetzt nicht weine' ist eine berührende Coming-of-age-Geschichte, in der nicht nur der junge Protagonist eine Entwicklung durchlebt, die einer Neugeburt gleichkommt.

OISÍN CURRAN ist im ländlichen Maine aufgewachsen. 2008 erschien sein Debütroman Mopus (Luftschacht, 2009). Curran schreibt als Freelancer für Film und Fernsehen und wurde von CBC: Canada Writes zum 'Writer to Watch' ernannt. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Cape Breton, Nova Scotia. Wenn ich jetzt nicht weine ist sein zweiter Roman. RAIMUND VARGA, geboren in Wien, wo er auch als Unterrichtender, Lektor und Übersetzer lebt. Bei Luftschacht erschienen: Wenn ich jetzt nicht weine (Roman, 2021) Mopus (Roman, 2009)

TOD FÄLLT!, schrie mein Vater und schwang seine Axt.Tod fällt dir ins Genick! Axt blitzte durch den Himmel und fiel – Birkenscheit brach entzwei; Myles rastete, Brille schief, um den Kopf einen weißen Lumpen gebunden, schwarze Haare zu Berge – verrückter Samurai. Ich fing die Scheithälften auf, stapelte sie und stellte ein noch ganzes auf für den nächsten Hieb.

Er beantwortete halb eine nur halb gehörte Frage.

Die Nacht zuvor hatte ein betrunkener Jäger meinen KaterSchatten für einen Waschbären gehalten und ihn erschossen. Beziehungsweise nahmen wir das an – wir waren dem Mann nie begegnet, aber man wusste, dass bewaffnete Trinker durch die Wälder torkeln, undSchatten sah ein wenig aus wie ein Waschbär, vor allem nachts, wenn sie in diesen Gegenden gejagt werden. Jedenfalls war er tot. Wir fanden ihn am Morgen unter seinem Lieblingsbaum.

Obwohl er meine erste Liebe war und obwohl ich das Blut aus seiner Schusswunde überall an mir hatte, weinte ich nicht. Meine Mutter wickelte ihn in ein altes Bettlaken, während mein Vater sein Grab schaufelte. Als er unter ein paar Handvoll Erde verschwand, kam mir in den Sinn, dass er vier Jahre früher genauso unsichtbar gewesen war, bevor ich ihn aus dem Körper seiner Mutter schlüpfen sah. Für diese Unsichtbarkeit hatte ich keinen Namen; vielleicht war dies auch ein Tod. Den restlichen Morgen dachte ich über die Angelegenheit nach, verzweifelt darauf achtend, das in meiner Brust aufkeimende Schluchzen zu unterdrücken, weil ich dachte, es würde mich töten, wenn ich es zuließe. Zwecks zusätzlicher Ablenkung sprach ich mit Myles.

Gehen wir in den Tod zurück, weil wir aus dem Tod geboren werden?

(Halb gehört, halb verstanden.)

Der Tod ist simpel, deklamierte er,anders als die Geburt, die ein Kraftakt von unvergleichlicher Schwierigkeit ist. Ein Kraftakt der Raserei – explosiv. Wir alle streben unsere Inkarnation an.

Axt fiel wieder und verkeilte sich im Holzscheit. Gesicht, verschlossen zu einem teuflischen Grinsen, hob Myles Axt und Holzscheit und hämmerte beide gegen den Baumstumpf. Schweiß flog von ihm und vom Lumpen auf seinem Kopf und vom Lumpen an seinem Genick und seinem triefenden Shirt, bis das Holzscheit sich teilte und er sich gegen einen Baum lehnte, atemlos und hochrot.

Du hast uns auserwählt, keuchte er, richtete seine Brille.Du hast uns herausgepickt, und jetzt sind wir dran.

Von ihrem nahe gelegenen Platz, wo sie überSchattens Grab einen spindeldürren Birnbaumsetzli