1
Sams Fuß glitt ab und unversehens fand er sich an der nackten Wand der vereisten Klippe hängend wieder – nur noch gehalten von den Fingerspitzen. Trotz der dicken Handschuhe, die er trug, waren die Hände starr vor Kälte. Seine Füße baumelten in der Luft. Furcht griff nach seinem rasenden Herzen.
Nach einigen Sekunden verzweifelten Strampelns gelang es ihm schließlich, die metallenen Klettereisen an den Stiefelspitzen in das Eis zu graben. Vorsichtig erlaubte er den Beinen, wieder sein Gewicht zu tragen. Das Eis hielt. Erleichterung durchströmte ihn.
Mit leichtem Zittern kletterte er die letzten zehn Meter der Felswand empor. Als er sich oben auf den schneebedeckten Felsvorsprung zog, peitschte ihm die ungebremste Kraft des eisigen Windes ins Gesicht. Zum Schutz vor dem frostigen Hieb biss er die Zähne zusammen und beugte sich den Abgrund hinab.
„Ist nicht so übel, wie’s aussieht!“, rief er.
„Sagt der Junge, der fast in eine Gletscherspalte gefallen wäre!“ Ellas Stimme wehte von irgendwo weiter unten zu ihm hinauf. Sie selbst war in einer wirbelnden Wolke aus Schnee verborgen.
„Die Leiter war wacklig!“
„Ein schlechter Kletterer schiebt’s immer auf die Ausrüstung!“
Endlich tauchte Ella aus der Wolke auf. Vorsichtig arbeitete sie sich mithilfe ihres Eispickels empor, während sie das Seil, das sie beide verband, als Leithilfe benutzte. Dem schlüpfrigen Bereich ausweichend, in dem Sam beinahe abgestürzt wäre, vollendete sie den Kletterabschnitt und gesellte sich zu Sam auf den Felsvorsprung. Er half ihr, sich auf die Beine zu hieven, bevor sie sich noch ein wenig weiterschleppten, um unter der überhängenden Kante einer Schneewehe Schutz zu suchen. Zumindest für den Moment waren sie hier nicht mehr den Elementen ausgesetzt.
„Hätte echt gedacht, dass wir schon längst tot wären“, sagte Ella und rang nach Atem.
„Danke für das Vertrauensbekenntnis“, erwiderte Sam. Er blickte den Berg Richtung Gipfel hinauf, in den Mahlstrom aus wirbelndem Eis. „Na, egal, ist noch Zeit genug.“
Hinter ihnen knirschten Schritte im Schnee. Als Sam sich umwandte, erfasste sein Blick einen untersetzten Mann, der einen hellgrünen Thermoschneeanzug trug. Sein rotes Gesicht lugte aus einer pelzverbrämten Kapuze hervor. Kleine Eiskristalle hingen von seinem buschigen Schnurrbart herab.
„Wenn ihr euch beeilt“, sagte Master Gaff, „seid ihr die ersten auf dem Gipfel.“
Sam wollte sich gerade schon wieder auf den Weg machen, als die Wolken sich ein wenig lichteten. Langsam klärte sich die Sicht und gab in voller Höhe den Blick auf jene Felswand frei, die sie gerade emporgeklettert waren – einschließlich der tückischen Berghänge, die sich darunter erstreckten.
Der Anblick verschlug ihm den Atem. Es war kaum zu glauben, dass sie nur noch ein paar Hundert Meter vom Gipfel des Mount Everest trennten.
Der Aufstieg von Camp 4 war unglaublich hart gewesen und die Schneesturmbedingungen hatten alles nur noch schlimmer gemacht. Es schien eine Ewigkeit gedauert zu haben, bis sie einen markanten Felsabsatz, den sogenannten „Balkon“, erreicht hatt