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„Hilfst du mir mal mit dem Gitter, Daoud?“, bat ich nicht zum ersten Mal an diesem Abend.
Daoud reckte den Zeigefinger in die Höhe und telefonierte unbeirrt weiter. „Echt jetzt? Aus Hollywood? Wann?“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Cool. Ich komme.“
„Endlich.“ Ich seufzte laut, als er sein Handy einsteckte. Es ging schon auf Mitternacht zu, und wir hätten unseren Deli – den Imbiss meiner Eltern – schon vor einer Stunde schließen müssen. Ich zerrte an dem störrischen Rollgitter.
Daoud spannte seinen Bizeps. „Hier sind ein paar richtige Muskeln gefragt.“ Er legte die Hand um den anderen Griff.
„Bei drei …“ Ich packte mit aller Kraft zu. „Eins …“
„Drei!“
Unter lautem Getöse ratterten die stählernen Lamellen nach unten und knallten auf den Bürgersteig. Daoud ließ das Vorhängeschloss einrasten. „Yallah, Bruderherz. Ich muss los.“
Bruderherz? Daoud benahm sich, als gehörte er zur Familie, aber in Wirklichkeit war er bloß ein Typ, den mein Bruder vor zehn Jahren mal aus der Schule mitgebracht hatte. Damals war er in der fünften Klasse gewesen. Ich habe nie begriffen, was Mo eigentlich an ihm fand. Vielleicht lag es ja daran, dass es an unserer Schule nicht viele andere Kinder gab, die aus dem Irak stammten. Seit damals habe ich Daoud zwar fast tagtäglich gesehen, aber mein „Bruderherz“ war er deswegen noch lange nicht.
„Mal wieder eine Party?“, wollte ich wissen.
„Nicht alle hier wollen ihr restliches Leben am Kebab-Grill verbringen.“
„Ist ja nicht haram. Der Mensch muss schließlich essen“, erwiderte ich. „Und? Wer ist diesmal in der Stadt? Spielberg? Der Chef von Disney?“
Er grinste. „Eine wichtige Casting-Agentin aus L. A. Sie kommt zur Premierenparty vonHamilton. Du weißt schon, dieses neue Musical. Da muss ich in genau einer Stunde sein.“
Wir wandten uns dem zweiten Rollgitter zu. „Wäre es nicht einfacher, wenn du mal eine Schauspielschule besuchen würdest?“, hakte ich nach. „Oder, keine Ahnung, mal tatsächlich irgendwo mitspielen würdest?“
Daoud zog eine Grimasse. „Falls du es vergessen hast, ich hab schon inHomeland mitgespielt. Zweimal sogar.“
„Ja, genau, und jedes Mal war dein Gesicht mit einer Kufiyah verhüllt. Was für eine Rolle war das gleich noch mal? Terrorist?“
„Anführer der Terroristen!“ Ein kräftiger Ruck, und schon ratterte das Gitter nach unten.
Ich machte das Vorhängeschloss fest. „Und wann spielst du endlich mal einen richtigen Helden?“
Daoud lachte. „Leute wie wir kriegen nie die Heldenrolle. Das weißt du doch.“
„Wieso eigentlich? Weil du Araber bist oder weil du Muslim bist?“
„Such’s dir aus, Bruderherz. Such’s dir aus.“
Warum gab Daoud sich überhaupt noch Mühe? Das konnte ich nicht verstehen. Wie konnte er damit zufrieden sein, immer nur Bösewichte zu spielen?
Da war es doch weitaus vernünftiger, mit beiden Beinen auf dem harten Asphalt zu bleiben. In der Realität.
Wir betraten den Deli durch den Hintereingang und gelangten durch die vollgestopfte Küche in den Speiseraum. Das Mo’s machte nicht viel her. Die Tische passten nicht zueinander und etliche Stühle wackelten, aber der Laden warheiß. Und damit meine ich nicht nur die Zwiebeln in der Pfanne oder das Shawarma am Drehspieß, sondern auch die Leute – die waren ziemlich heiß auf unser Essen. Wir lagen direkt an der Ecke von Fifteenth Street und Siegel Street, darum hatten wir den ganzen Tag über jede Menge Laufkundschaft. Und wir waren auf arabische und mediterrane Speisen spezialisiert, also auf die beste Küche der Welt.
Wir machten morgens um 6.00 Uhr auf, um die Büroangestellten mit frischen Pitas und türkischem Kaffee zu versorgen, der so dick w