: Sandra Gernt
: Nennitas Sohn
: tolino media
: 9783754614624
: 1
: CHF 5.30
:
: Fantasy
: German
: 360
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Tarryn wollte nie etwas anderes vom Leben, als ein Sohn Nennitas zu sein - ein Bewahrer der Schriften, der Göttin der Weisheit geweiht. Doch als überzähliger Spross einer Adelsfamilie wird er gezwungen, eine Bündnisehe einzugehen - mit einem Mann. Einem Krieger in einem fernen Land, für den Tarryn ein wertloses Nichts ist. Ein notwendiges Übel, das eine Lieferung von Waffen, Kriegsrössern und Soldaten garantiert, mehr nicht. Ohne die Möglichkeit der Kommunikation ist er als Gelehrter unter raubeinigen Kriegern verloren. Doch ein wahrer Sohn Nennitas findet seinen Weg ... Ca. 72.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte dieser Roman ungefähr 360 Seiten

Sandra Gernt, Jahrgang'76, schreibt Geschichten, in denen die Charaktere im Vordergrund stehen. Auch wenn es in Fantasywelten geht, ist episches Schlachtengetümmel selten zu finden. Action und Spannung dürfen nicht fehlen, doch dafür braucht es kein sinnloses Blutvergießen. Sie legt Wert auf emotionale Entwicklungen, niveauvolle Sprache und detailliert geschilderte Welten. (Homo-)Erotik ist für sie niemals Selbstzweck, sondern gehört sinnvoll und sinnlich in das Geschehen eingebunden.

 

B

ruder! Der Großmeister ruft nach dir!“

Tarryn nickte dem älteren Schriftgelehrten zu, der gerade durch die Tür des Schreibsaals getreten war und ihm die Botschaft hauchleise ins Ohr geflüstert hatte. Schließlich sollte niemand bei der Arbeit gestört werden.

Ohne sich hetzen zu lassen, beendete er den Satz, damit der Schwung nicht unterbrochen wurde. Es würde einem Laien nicht weiter auffallen, einem Bewahrer der Schriften hingegen bliebe nicht verborgen, wenn dort mitten in der Zeile neu angesetzt werden würde. Mithilfe der Streusanddose sorgte er dafür, dass die Tinte auf dem kostbaren Pergament abtrocknete und nichts verwischen konnte. Erst danach wusch er den Schreibkiel sorgfältig aus, verschloss das Tintenfass und trat von seinem Schreibpult zurück. Das Pergament ließ er liegen, er rechnete mit sofortiger Rückkehr an seinen Arbeitsplatz. Vermutlich wollte der Großmeister von ihm hören, wie weit er mit dem Auftrag vorangekommen war und ihm neue Wünsche des Kunden mitteilen.

Tarryn gehörte zu einem Konvent der Nennita. Sein Leben war der Herrin der Weisheit, der Heil- und Schriftkunst geweiht. In dieser Bruderschaft diente er als Bewahrer der Schriften. Sie kopierten unbezahlbare Pergamente, die zu verfallen drohten, schrieben Legenden, Erzählungen, wahre Ereignisse als Chronisten nieder, fertigten Verträge an, illuminierten Auftragsarbeiten für Adlige und Reiche, pflegten Bibliotheken und Archive. Die Kinder der Nennita schworen keine Keuschheit und besaßen einen herausragenden Ruf unter den vielfältigen Gottesdienern; darum waren sie ein beliebtes Auffanglager für überzählige Adelssprösslinge.

So war es auch Tarryn ergangen. Seit seinem fünften Lebensjahr war das Konvent seine Heimat. Der früheste Zeitpunkt, zu dem eine reguläre Aufnahme möglich war. Er schritt durch die vertrauten, hell von der Sonne erleuchteten Gänge. Im Frühjahr stießen sie die Holzläden weit auf und ließen Licht und frische Luft durch die ausgedehnten Schreibhallen strömen. Dort arbeiteten Tag für Tag über viele Stunden hinweg dreißig bis fünfzig Bewahrer der Schriften mit ihren Novizen. Im Winter und nach Einbruch der Dunkelheit mussten Laternen und Kerzen für das dringend notwendige Licht sorgen.

Tarryn atmete begeistert den Duft der zahllosen Blüten ein, die im Konventgarten austrieben. Das Summen der Bienen gab Zeugnis vom Fleiß ihrer wichtigen tierischen Helfer – der Konvent besaß dutzende Bienenstöcke, mit denen er sich selbst mit Honig als wichtiges Heilmittel und Wachs für die Kerzen versorgte. Eine Gruppe Frauen kreuzte seinen Weg. Sie stammten aus dem nah gelegenen Schwesternhaus. Die Töchter der Nennita erledigten dieselben Arbeiten wie die Bruderschaft, die Trennung der Geschlechter hatte vordergründig moralische Gründe, in Wahrheit ging es um Effektivität. Bei den vielen Heranwachsenden, die in den Häusern lebten, fürchtete man um Lernbereitschaft und Arbeitseifer der Jugendlichen, wenn sie gemeinsam unter einem Dach leben würden.

Tarryn neigte ehrerbietig den Kopf und grüßte die Schwestern.

„Bruder.“ Erst vor zwei Jahren, an seinem einundzwanzigsten Geburtstag, hatte Tarryn das graue Novizengewand gegen die weiße Robe eines Schriftenbewahrers eingetauscht. Noch immer fühlte er sich seltsam