: Lisbeth Sommer
: Nicht mehr alle Latten am Zaun Ein Schrebergarten-Roman
: Piper Verlag
: 9783492601214
: 1
: CHF 7.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Hart, härter, Hobbygärtner Immerfroh - klingt das nicht nach Erholung und Glück? Vicky, 53, sucht im gleichnamigen Kleingartenverein vor allem ihre Ruhe. Stattdessen muss sie Debatten über korrekte Rasenhöhe und die gefürchteten Vereinssitzungen überstehen, wo jede der 362 Regeln hingebungsvoll umgegraben wird. Als eines Tages neue Kleingärtner anrücken, wird es turbulent: Eine überkandidelte Großstadtfamilie, die Kaninchenzüchter Olli und Toni und weitere Schreckgestalten mischen die Siedlung auf. Erst als die Stadt Immerfroh auflösen will, heißt es für alle: Zusammenhalten und zum Gegenangriff blasen. Ob das gut geht? Garantiert großer Lesespaß: Der Kleingartenverein Immerfroh e.V: Alle wissen es besser, aber keiner so richtig.

Lisbeth Sommer heißt eigentlich Steffi von Wolff und hat schon zahlreiche Bücher veröffentlicht. Mit ihrem Schrebergraten-Roman hat sie sich wenigstens im Kopf den Traum von einem Gartenhäuschen erschaffen Ihre Kindheit verbrachte sie größtenteils im Kleingarten ihrer Großeltern und fand es toll, Himbeeren zu ernten und gleich zu essen, was Oma nicht so toll fand. Heute ist ein Segelboot der Garten von Lisbeth Sommer. Ihr Wunsch ist es, später mal in einem Häuschen an der Schlei zu werkeln, bretonisch angehauchter Garten mit vielen, vielen Pflanzen natürlich inbegriffen!

Kapitel 2


Die erste Versammlung in diesem Jahr dauerte nun schon über drei Stunden. Alles war geklärt und hätte wie alle solche Versammlungen, allen voran die Elternabende, auch innerhalb von zwanzig Minuten beendet werden können. Der Rasen durfte nach zwanzig Uhr nicht mehr gemäht werden, am Sonntag schon gar nicht, und am Samstag nur bis sechs am Abend, die Brombeerhecke von Andrea und Jonas ragte letztes Jahr zu weit in den Weg, und Hanni wurde angeblich irgendwann fast von einer Quitte erschlagen, deswegen hatte sie jetzt dauernd Kopfschmerzen.

»Nur weil de Rüdischer, wo letzt Jahr gestorbe is, den Baum net beschnitte hat, wär isch jetzt fast dooood. De Baum muss ford.« Während ihr Mann Paul sich immer bemühte, akkurates, fehlerfreies Hochdeutsch zu sprechen, wie es sich für einen angeblich ehemaligen Fremdenlegionär gehörte, beharrte Hanni auf ihrem Wetterauer Dialekt. Hier war se geborn, hier würd se sterbe, hier wird so geschwätzt, un Schluss.

»Das wär’s noch«, Elise Krall, eine dralle Mittfünfzigerin und die Frau von Donald, dem Vereinsvorsitzenden, der die Versammlung wie immer leitete, schnaubte laut. »Einen Baum fällen wegen deiner Dummheit, Hanni? Sieh dich halt vor!«

»Du spinnst wohl, Hanni«, regte sich nun auch Carola Reibold auf. »Der Baum bleibt, da hat die Elise recht. Die leckeren Quitten, das fehlt noch, dass wir die nicht wieder ernten können.«

»Außerdem kann eine Quitte einen nicht erschlagen«, pflichtete ihre Schwester Lotti ihr bei. »Oder, Vicky, sag doch mal, du bist doch Ärztin. Du musst doch wissen, ob eine Quitte einen Menschen umbringen kann.« Die beiden Schwestern Lotti und Carola Reibold saßen natürlich nebeneinander, sie machten alles zusammen, alles. Nur aufs Klo gingen sie nacheinander. Sie waren Anfang sechzig und sehr sparsam, sie schnitten sich auch gegenseitig die Haare, und dementsprechend sahen ihre Frisuren aus. Als hätten sie sich gegenseitig Töpfe aufgesetzt und ungeschickt drum herum geschnipselt. Bei Carola hatte Lotti letztens einen Fehler gemacht. Eigentlich hatte sie ihr die Haare so schneiden wollen wie immer, aber dann hatte sie zusätzlich das Haupthaar weggeschnitten, weil sie das auf einem Foto gesehen und gut gefunden hatte. Dass auf dem Foto ein Mönch zu sehen war, der sich für eine Tonsur entschieden hatte, wurde von Lotti nicht thematisiert.

Vicky hätte nun natürlich zum siebenhundertzwölften Mal sagen können, dass sie keine Ärztin sei, sondern Praxismanagerin bei Ärzten, und das war etwas ganz anderes. Sie hätte auch fragen können, warum sich eine Ärztin mit den Fallgewohnheiten von Quitten auskennen müsse, hatte aber Angst, dass dann eine neue Diskussion entfacht würde und sie um Mitternacht noch immer auf diesem Hämorridenholzstuhl ohne Sitzauflage hocken müsste.

»Wenn sie unglücklich fällt, kann sie einen bestimmt verletzen«, sagte sie also. »Ob allerdings tödlich, das weiß ich nicht. Knochen sind ja hart.«

»Ach!«, winkte der schöne Edgar ab. »So schlimm ist das doch alles nicht. Schläge auf den Kopf töten ja Gehirnzellen ab, gell, da muss unsere Hanni keine Angst haben, wo nix is, kann auch nix abgetötet werden, hahaha, hohoho.«

Ich haue mir gleich die Schenkel blutig vor Lachen, dachte Vicky genervt. Der schöne Edgar war offenbar schon durch mit Cindy, hatte sie aus seinem Knusperhäuschen komplimentiert und nach Hause geschickt. »Bis baaaald, Mäuschen, und tschüs, ich ruf dich an!« Edgar Sablonska war wirklich der größte Schwachkopf, der hier herumhockte. Er hielt sich für unwiderstehlich, seitdem er vor zwanzig Jahren mal auf einer Schaumparty in Gründau-Lieblos zum Mr  Anabolika gewählt worden war und heute noch davon zehrte. Ein entsprechender Pokal stand gut sichtbar in seiner Laube. Edgar erzählte gern hammerlustige Witze, über die nur er lachen konnte (»Warum läuft ein Kleingärtner nackt durch den Garten? – Damit die Tomaten rot werden.«).

Er feierte bald seinen vierzigsten Geburtstag und hatte angeblich mal einem Mafioso an einer Ampel die Zähne ausgeschlagen, weil der – Edgar hatte sich ein gebrauchtes Cabrio, erbsmetallicfarben, gekauft, sein ganzer Stolz – gefragt hatte, ob das Cabrio ein Leihwagen und sein Opel Manta in Reparatur sei. Der Mafioso, angeblich ein gesuchter Serienkiller, der opfermäßig gern mit gelöschtem Kalk und Beton arbeitete, fand das nicht lustig und wollte dem schönen Edgar während der Rotphase, so erzählte Edgar es gern, »die Fresse polieren«. Aber Edgar tötete ihn damals natürlich nur mit Blicken und dem Hinweis, er würde »den Jockel« kennen, und der Mafioso fuhr daraufhin panisch und mit eingezogenem Schwanz davon. Merkwürdigerweise hatte Edgar seitdem, so erzählte man, sehr viel Geld in Zahnersatz investiert und besaß nun viel zu große Pferdezähne, die er regelmäßig bleichen oder färben ließ und die er nur zu gern zeigte. Wäre man nachts mit ihm unterwegs gewesen und hätte keine Taschenlampe dabei gehabt, hätte Edgar nur die Zähne fletschen müssen, und schon wäre der Weg kilometerweit beleuchtet gewesen.

Er trug indiskutable, auch noch nachgemachte Camp-David-Klamotten – dass es so was überhaupt gab! –, auf denen auch diesmal so schwachsinnige Worte standen wie Sailing Crew united Antigua Racing Bay yeah we are sailing around the world great team on the boat in the middle of the sea come with us hooray and honky donky.

Vicky ärgerte sich regelmäßig darüber, dass sie so viel über Edgar und seine Dämlichkeit nachdachte. Eben schon wieder, aber es gab doch Besseres, Schöneres und Wichtigeres, als sich über Herrn Sablonska aufzuregen.

Donald Krall, der Vorstandsvorsitzende, hatte irgendwelche neuen Bestimmungen vorgelesen, die Vicky nicht und auch sonst niemanden außer Paul Müller interessierten, und dann wurden die Verstorbenen geehrt und irgendjemand vom Vorstand entlastet. Sonst blieb alles beim Alten, es mussten auch keine Ämter neu vergeben werden, mit der Kasse stimmte alles, und dann fragte Donald, was denn sonst noch anliege. Er wurde von allen nur Don Krawallo genannt, weil er bei Meinungsverschiedenheiten gern mal laut wurde und sich immer durchsetzen wollte.

Diese Frage war auf Versammlungen jeglicher Couleur gefährlich, nicht nur bei Elternabenden, nein, auch hier und jetzt. Einige hielten die Luft an und hofften, dass der Kelch an ihnen vorüberging, andere, so ab siebzig, schauten gespannt in die Runde, sie hatten nichts weiter vor und freuten sich über die Versammlung, die doch ein bisschen Abwechslung im faden Rentnerdasein bot. Vicky wettete mit sich selbst, wer eine Frage stellen würde, und tippte auf Andrea oder Jonas. Die beiden waren eigentlich ganz reizend, aber sie trieben einen in den Wahnsinn, weil sie immer total betroffen waren, auch so redeten und stets todesgewiss in die Runde guckten. Sie trugen Latzhosen, hatten lange Haare, die sie wegen der Waschmittelumweltbelastung bewusst ganz, ganz selten mit dem Sud aus gesammelten Kastanien wuschen, und arbeiteten als Betreuer für schwer erziehbare und elternlose Jugendliche, die sie manchmal mitbrachten in die gute frische Luft, was in Maßen geduldet wurde. Und gerade schauten sie wieder wie Rehe, die ihren Jäger mit angelegter Flinte vor sich sehen und wissen: Es ist vorbei. Gleich geht es in die Ewigen Jagdgründe.

Jonas hob einen Arm und schnippte leicht mit den Fingern. »Du, Donald, ich hätte da noch ein Anliegen. Es geht um die Ruhe nach zehn.«

»Wer macht denn da noch Lärm?«, wollte Donald aufgebracht wissen und war ganz in seinem Element.

»Na ja, also …«, murmelte Jonas leicht unangenehm berührt und mit ökogepresster Stimme. »Die Carola und die Lotti, die hören ja immer diese Vogel-CDs, halt auch nach zehn, und das ist schon laut, wenn da ein Vogelschwarm zwitschert. Also Hobby-Ornithologie in allen Ehren, aber was zu viel ist, ist zu viel.«

»Das muss geklärt werden«, erklärte Donald wie ein Inquisitor vor einem schon lodernden Scheiterhaufen und deutete mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf die Lärmverursacherinnen. »Carola, Lotti, was habt ihr zu eurer Verteidigung vorzubringen?«

Carola wurde sofort giftig und ging in die Offensive. »Das sind die Balzrufe der Dunkelbäuchigen Ringelgans, die CD ist neu, die wird man wohl mal hören dürfen.«

»Du, Carola, das ist echt un-er-träg-lich, die schreien ja richtig, die Gänse«,...