: Silke van Dyk, Tine Haubner
: Community-Kapitalismus
: Hamburger Edition HIS
: 9783868544534
: 1
: CHF 10.80
:
: Politische Soziologie
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Silke van Dyk und Tine Haubner analysieren die Kehrseiten des Community-Kapitalismus, diskutieren seine Bedeutung angesichts neoliberaler Krisen und fragen nach solidarischen Alternativen. Nachbarschaftshilfe, Freiwillige Feuerwehr, Pflegepatenschaften, Tafeln, Flüchtlingshilfe oder Crowdsourcing: Unbezahlte Arbeit hat viele Gesichter, ist gern gesehen und findet nicht nur im Privathaushalt statt. Der demografische Wandel und der Umbau des Sozialstaats haben Sorgelücken entstehen lassen, sodass immer häufiger das Engagement von Vereinen, Initiativen, Nachbarschaften oder digitalen Netzwerken in Anspruch genommen wird. Öffentliche Aufgaben oder professionelle Tätigkeiten werden an die Zivilgesellschaft delegiert, soziale Rechte in soziale Gaben überführt. Die Autorinnen beschreiben diese Entwicklung mit dem Begriff 'Community-Kapitalismus' und fragen: Wie verändert sich das Verhältnis von Markt, Staat, Familie und Zivilgesellschaft? Erleben wir eine Informalisierung von Arbeit und Sorge im Gewand neuer Gemeinschaftlichkeit? Welche Rolle spielen hier soziale Bewegungen? Und was bedeutet das für unser Verständnis von sozialen Rechten?

Silke van Dyk ist Professorin für Politische Soziologie und Direktorin des Instituts für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universitä Jena. Tine Haubner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Politische Soziologie der Friedrich-Schiller-Universitä Jena.

1Die (Wieder-)Entdeckung der Gemeinschaft im Krisenkapitalismus


Der Gegenwartskapitalismus steckt nicht nur in einer ökonomischen, sondern längst auch in einer ökologischen, politischen und sozialen Funktionskrise, worauf Gegenwartsdiagnosen der »multiplen« oder »Vielfachkrise« hinweisen.1 Spätestens seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ff. besteht zudem wenig Zweifel an einer fundamentalen Hegemonie- und Legitimationskrise des Neoliberalismus. Dieser ist als lebendiger Untoter, als »Zombie-Kapitalismus«2 zwar weiterhin dominant, hat aber vom liberalen Triumphalismus der Vergangenheit in den Katastrophenmodus umgeschaltet und wird für seine sozialen und ökonomischen Verwerfungen zunehmend kritisiert. Die multiplen Krisendynamiken verdichten sich zudem zu einer fundamentalen Krise der sozialen Reproduktion: Jahrzehnte der Privatisierung, Deregulierung und Kommodifizierung haben private und öffentliche Sorgekapazitäten erodieren lassen, auf die der Kapitalismus mit seiner strukturellen »Sorglosigkeit«3 konstitutiv angewiesen ist. Die Krise der sozialen Reproduktion wird zusätzlich vom Wandel der Familien- und Geschlechterverhältnisse und der Alterung der Gesellschaft vorangetrieben und schlägt sich in Zeiten, da immer weniger Frauen ganztägig als »heimliche Ressource der Sozialpolitik«4 zur Verfügung stehen, in wachsenden Sorgeengpässen nieder. Hat sich der neoliberale Kapitalismus also gewissermaßen selbst zu Tode gesiegt – wie manche Autor*innen im Lichte dieser Dynamiken mehr prognostizieren als diagnostizieren?

Nein – lautet die Antwort dieses Buches. Der Kapitalismus stellt vielmehr aufs Neue seine enorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis, nimmt vom jahrelang gepredigten sowie politisch exerzierten radikalen Individualismus Abstand und treibt die Suche nach gemeinschaftsförmigen Krisenlösungen und gemeinschaftsbasierter Solidarität – als neuer Ressource der Sozialpolitik – voran. Der Ego-Gesellschaft scheint die Puste aus