Am Straßenrand steht ein kleines Holzkreuz mit dem Datum seines Todestages.
Scotty hätte das nicht gewollt. Bestimmt hat seine Mutter es dort aufgestellt.
»Können Sie bitte anhalten?«
Der Fahrer verlangsamt und bringt das Taxi zum Stehen. Ich steige aus und gehe zu der Stelle mit dem Kreuz zurück. Ich bewege es hin und her, bis sich die Erde darum herum lockert, und ziehe es dann heraus.
Ist das genau die Stelle, an der er gestorben ist? Oder war es auf der Straße?
Ich habe in der Vorverhandlung nicht zugehört, als es um die Einzelheiten ging. Als davon die Rede war, er sei mehrere Meter vom Auto weggekrochen, habe ich angefangen zu summen, weil ich mir die Ausführungen des Staatsanwalts nicht anhören wollte. Und dann habe ich mich lieber gleich schuldig bekannt, um im Falle eines Verfahrens nicht mit allen Details konfrontiert zu werden.
Denn im Prinzip war es ja meine Schuld.
Ich habe ihn zwar nicht durch meine Taten getötet, aber ganz gewiss durch meine Tatenlosigkeit.
Ich dachte, du wärst tot, Scotty. Aber Tote können nicht mehr kriechen.
Mit dem Kreuz in der Hand gehe ich zum Taxi zurück. Ich lege es neben mich auf die Rückbank und warte, dass der Fahrer wieder losfährt, aber das tut er nicht. Als ich in den Rückspiegel schaue, stelle ich fest, dass er mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansieht.
»Das bringt bestimmt schlechtes Karma, so ein Straßenkreuz zu klauen. Sind Sie sicher, dass Sie das Ding da mitnehmen wollen?«
Ich wende den Blick ab und lüge. »Ich hab es ja selbst dort aufgestellt.« Er fährt los, aber ich spüre genau, dass er mich weiter anstarrt.
Bis zu meiner neuen Wohnung sind es von hier nur noch drei Kilometer. Früher habe ich ein Stück in die andere Richtung gewohnt, aber jetzt, ohne Auto, habe ich mir lieber etwas Zentraleres gesucht, damit ich zu Fuß zur Arbeit gehen kann. Falls ich überhaupt Arbeit finde. Mit meiner Vorgeschichte und meiner mangelnden Erfahrung wird das nicht einfach. Ganz abgesehen von dem miesen Karma, das ich nach Meinung des Taxifahrers von nun an mit mir rumschleppe.
Mag sein, dass es schlechtes Karma bringt, Scottys Kreuz zu klauen, aber ein Kreuz für einen Mann stehen zu lassen, der ganz eindeutig etwas gegen Straßenkreuze hatte, wäre auch nicht besser. Darum wollte ich den Umweg über diese Nebenstraße nehmen. Mir war schon klar, dass Grace vermutlich etwas an der Unglücksstelle aufgestellt hatte, und das wieder wegzunehmen, war ich Scotty irgendwie schuldig, fand ich.
»Bar oder mit Karte?«, fragt der Fahrer.
Nach einem raschen Blick auf das Taxameter ziehe ich ein paar Geldscheine aus dem Portemonnaie und reiche sie ihm, sobald er anhält. »Stimmt so.« Dann steige ich mitsamt Koffer und dem soeben entwendeten Holzkreuz aus dem Taxi und gehe zum Haus hinüber.
Meine neue Wohnung gehört nicht zu einer großen Wohnanlage, sondern zu einem einzelnen Gebäude, das auf der einen Seite von einem verlassenen Parkplatz und auf der anderen von einer Tankstelle flankiert wird. Eines der Fenster im Erdgeschoss ist mit Holz zugenagelt. Bierdosen in unterschiedlichen Zuständen des Verfalls fliegen auf dem Grundstück herum. Ich kicke eine beiseite, damit sie den Rollen meines Koffers nicht in die Quere kommt.
In der Realität sieht es hier noch übler aus als auf den Bildern im Internet, aber damit hatte ich schon gerechnet. Als ich angerufen habe, um mich nach einem freien Apartment zu erkundigen, hat die Besitzerin noch nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Sie meinte nur: »Bei uns ist immer was frei. Zahlen Sie bar. Ich bin in Apartment eins.« Und damit legte sie auf.
Ich klopfe an der Tür mit der Nummer eins. Im Fenster sitzt eine Katze u