: Charles Taylor
: Michael Kühnlein
: Menschenrechte, Religion, Gewalt. Drei Essays Taylor, Charles - Logik und Ethik - 14196
: Reclam Verlag
: 9783159619354
: Reclams Universal-Bibliothek
: 1
: CHF 5,20
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 168
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Charles Taylor zählt zu den großen Philosophen unserer Zeit. In eindringlichen Analysen hat er (wie in den hier exemplarisch für sein Werk stehenden drei Aufsätzen) die Ursprünge der modernen Identität rekonstruiert. Zugleich hat er damit eine innovative Neu-Erzählung des säkularen Zeitalters verfasst. Menschenrechte, Religion und Gewalt bilden die zentralen Angelpunkte seines Denkens. In immer neuen Anläufen zeigt er Wege auf, wie die vielfältigen Krisen der Gegenwart moralisch, politisch und gesellschaftlich besser gelöst werden könnten: Wer die Gegenwart verstehen will, kommt an den kritischen Analysen Taylors nicht vorbei. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Charles Taylor, geb. 1931, Politikwissenschaftler und Philosoph, emeritierter Professor für Philosophie an der McGill University in Montreal und Permanent Fellow am IWM (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) in Wien. Michael Kühnlein, geb. 1967, ist Lehrbeauftragter für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Alternative Grundlagen


Angenommen, wir nehmen uns die von anderen Gesellschaften ausgehenden ›kommunitaristischen‹ Argumente gegen den westlichen Rechtsdiskurs auf einer anderen Ebene vor und stellen nicht so sehr die Rechtsformen infrage, sondern erklären uns vielmehr nicht mit der zugrundeliegenden philosophischen Rechtfertigung einverstanden. Mein Beispiel stammt erneut aus Thailand. In dieser Gesellschaft hat es im vergangenen Jahrhundert eine Reihe von Versuchen gegeben, reformierte Deutungen der vorherrschenden Religion, des Theravada Buddhismus, zu formulieren. Einige davon haben in dieser Form des Buddhismus eine Basis für Demokratie und Menschenrechte gesucht. Dies wirft ein etwas allgemeineres Problem auf als dasjenige, auf das ich mich konzentriere, weil es eine alternative Grundlage sowohl für die Demokratie als auch für die Menschenrechte betrifft. Die Aufgabe, einen Konsens über Menschenrechte in der heutigen Welt zu erzielen, wird jedoch wahrscheinlich vereinfacht, wenn wir nicht[27]versuchen, uns über Regierungsformen zu einigen – zumindest nicht als Erstes –, sondern uns allein auf Menschenrechtsstandards konzentrieren. Meiner Meinung nach veranschaulichen die hier beschriebenen Entwicklungen im thailändischen Denken, was mit dem Erreichen eines »übergreifenden Konsenses« auf dieser engeren Basis verbunden ist.

Eine Hauptreformströmung besteht aus Bewegungen, die (aus ihrer Sicht) versuchen, den Buddhismus zu reinigen, ihn von der Konzentration auf Rituale, auf den Erwerb von Verdiensten und sogar dem weltlichen Erfolg durch Segnungen und Frömmigkeitsakte abzukehren und sich mehr auf das (aus ihrer Sicht) ursprüngliche Ziel der Erleuchtung zu konzentrieren. Der kürzlich verstorbenePhutthathat (Buddhadasa) stellte in dieser Hinsicht eine zentrale Figur dar. Diese Strömung versucht zum (aus ihrer Sicht) ursprünglichen Kern der buddhistischen Lehre über die Unvermeidlichkeit des Leidens, die Illusion des Selbst und das Ziel vonNibbana zurückzukehren. Sie attackiert den ›Aberglauben‹ der Menschen, die nach mächtigen Amuletten, Segnungen von Mönchen und dergleichen streben; sie möchte die Suche nach Erleuchtung von dem Streben nach Verdienst durch Rituale trennen. Zudem sieht sie die gesamte metaphysische Struktur des Glaubens sehr kritisch, die sich im Mainstream-Buddhismus über Himmel, Hölle, Götter und Dämonen gebildet hat und eine große Rolle im Volksglauben spielt. Der sri-lankische AnthropologeGananath Obeyesekere hat sie als einen »protestantischen Buddhismus« beschrieben.16

[28]Diese Strömung scheint neue Überlegungen zum Buddhismus als Grundlage für eine demokratische Gesellschaft sowie für Menschenrechte hervorzubringen.Sulak Sivaraksa undSaneh Chamarik zählen zu jenen führenden Figuren, in deren Schriften sich dies widerspiegelt. Sie und andere in ihrem Umfeld setzen sich sehr aktiv für soziale Gerechtigkeit ein. Sie befassen sich mit alternativen Entwicklungsmodellen, die ökologisch verträglicher wären, sich um eine Begrenzung des Wachstums bemühen, dem ›Konsumismus‹ kritisch gegenüberstehen und soziale Gleichheit fördern würden. Hinter all diesen Zielen steht das Bekenntnis zum Buddhismus. Wie Sulak erklärt, hat die buddhistische Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit eine nichtausbeuterische Haltung gegenüber der Natur zur