Erste Prüfung: Jagd
u darfst nicht zögern“, sagte Gallarn.
Der Stammesführer der Nuru persönlich saß Manju in seinem leeren Schlafnest gegenüber und zwang ihn zu einem Frühstück. Dabei war Manju übel und er wollte, dass es endlich losging. Damit er es hinter sich bringen und sich feiern lassen konnte. Es war ein Ritual. Nichts weiter als ein Ritual.
„Ich kenne den Jungen. Yandruk wird es dir nicht leicht machen, er ist geschickt und sehr, sehr klug. Der Sieg über ihn wird sich wie ein echter Sieg anfühlen, nicht wie das Ergebnis eines Spiels, bei dem das Ende von vorneherein feststeht. O nein! Es mag Wissensbewahrer geben, die nicht einmal versuchen, die Jäger wirklich herauszufordern. So etwas ist enttäuschend, auch wenn es sich aus deiner jetzigen Perspektive vielleicht danach anhört, als wäre das fein, denn dann wäre das Ritual schnell beendet. Aber später würde es dich ungemein ärgern und vielleicht sogar wie Betrug für dich anfühlen. Darum sei versichert, dass du mit Yandruk die bestmögliche Beute bekommst. Zögere nicht, sei mutig, gebrauche deinen Kopf! Teile deine Kräfte klug ein. Und auch wenn es selbstverständlich ist und ich weiß, dass du diese Ermahnung nicht brauchst: Geh behutsam mit ihm um, wenn du erst einmal gewonnen hast. Du darfst ihn demütigen, aber nicht ernstlich verletzen.“
„Mein Kopf weiß das alles“, murmelte Manju unglücklich. „Mein Bauch will, dass ich mich am Abtritt verstecke und erst in zwei Wochen wieder rauskomme. Dabei war ich heute morgen schon zweimal dort.“
„Ballast abwerfen ist eine gute Sache. Dann läuft es sich viel leichter.“ Gallarn lachte und schlug ihm herzlich auf die Schulter. „Und nun los, Junge. Iss deinen Carupbrei! Du brauchst deine Kraft.“ Ein verirrter Sonnenstrahl schaffte es durch die Baumkrone. Dank der rosafarbenen Blätter malten sich nun ebenfalls rosige Muster auf Gallarns breites Gesicht. Er trug seinen Bart voller Stolz, der ihm fast bis zu den kräftigen Hüften reichte. Sehr viel Weiß hatte sich in den vergangenen Sommern in die Manneszier gemischt, und da er nicht mehr mit auf die Jagd ging und auch sonst in den letzten Jahren behäbiger geworden war, sah man ihm die Vorliebe für süße Yunaibeeren mühelos an. Nicht mehr lange, und er würde die Ehre abgeben, der Führer der Nuru zu sein. Anri, die erste Schamanin, würde dann in Zwiesprache mit den Geistern treten und bestimmen, wer ihm nachzufolgen hatte. Manju war mit einem Mal dankbar für seine Jugend, die sich nicht zuletzt in seinem spärlichen Bart zeigte. Nur erfahrene, langjährige Gruppenführer kamen für diese höchste Ehre infrage, die ein Nuru-Jäger jemals erreichen konnte. Wenn er bereits unsicher war, ob er diesen Tag bewältigen würde, dann war es vollkommen ausgeschlossen, dass er jemals ein guter Stammesältester sein könnte. Zum Glück wollte er das auch gar nicht werden.
„Besteht Hoffnung, dass du noch einen Bissen essen wirst?“, fragte Gallarn und wies missbilligend auf Manjus Holzschale, die noch fast unberührt war.
„Ich fürchte, ich würde es bloß ausspucken, wenn ich es versuche.“ Manju stellte das Frühstück beiseite. Ihm war gehörig übel und schwindelig, beinahe als würde er krank werden.
„Nun beruhig dich.“ Gallarn umarmte ihn väterlich. „Lass dir aus langjähriger Erfahrung sagen: In dem Moment, wo das Ritual beginnt, bist du voll einsatzfähig. Dann wirst du schneller rennen als die Nartis‘ und höher springen als die Wutra-Äffchen und all das Bauchweh ist vergessen. Das ist bloß die Aufregung! Je schlimmer die Angst, desto besser deine Leistung im Wald. Erinnerst du dich nicht mehr an deine erste Jagd? Da war es genauso, nicht wahr? Und was habe ich damals zu dir gesagt?“
„Nur ein Narr kennt keine Angst. Die Furchtlosen sterben als Erste. Diejenigen, die vor Angst schlottern, sind die wertvollsten Jäger, denn sie kenn