Dieser Flutoktober. Und früh im Morgengrauen kommt ihre Mutter an und holt sie aus dem Schlaf, reißt sie aus einem Traum von der Welt. Am Arm wird sie durchs Zimmer geschleift, die Panik schießt ihr ins Blut. Bloß nicht schreien, denkt sie, nicht die andern wecken, so sollen die ihre Mam nicht sehen. Gehör verschaffen kann sie sich ja nicht, kriegt ja den Mund nicht auf, hat noch zu kauen an dem Schock, und darum redet ihre Schulter. Die protestiert laut knackend, hört sich an, als wär ihr Arm hinüber, ein Ast von einem Baum, glatt abgeknickt. Von einem Ort, der sprachlos ist, kommt die Erkenntnis: Ihre Welt muss aus dem Leim sein.
Als wär sie angeschirrt, schleift ihre Mutter sie zur Tür, ihr Körper krumm und schief wie ein verklemmtes Ackerwerkzeug, die Füße stumpfe Klingen. Vorn an der Türe Licht, dünn wie Messers Schneide. Ihre Augen kämpfen gegen die Finsternis, strengen sich an, die Mutter zu fixieren, doch sehen nur die knochenbleichen Finger, die ihr Handgelenk umklammern. Sie holt aus mit der freien Faust und trifft daneben, holt wieder aus, zielt in die Dunkelheit und trifft die Luft dazwischen, stemmt die Hacken in den Boden. Wille gegen Wille, sie gräbt sich fest, obwohl sich Sarahs Wille jetzt verwandelt hat in eine tierartige Kraft, eine Geheimkraft, denkt sie, wie bei dem Ochsen von Nealy Ford, eh er ihn totgemacht hat und ist weg, und nun brennt ihr Handgelenk im Klammergriff der Mutter. Von den Hacken auf die Zehen rollend, wird sie aus der Tür gezerrt.
Was draußen auf die beiden wartet, ist klirrende Kälte, als hätt sie ihnen extra aufgelauert, wie ein Tier, ein gieriges, im Dämmerschein des Morgens, der tief und grob und grau dort hockt. Noch nicht die richtige Winterkälte, obwohl die Bäume sich dicht aneinanderdrängen, alten Männern gleich, die sich zur Strafe nackt ausziehen mussten, und das abgehärmte Land liegt da und wartet. Die Bäume hier sind karge Ebereschen, doch ohne Beerenschmuck an den grazilen Gliedern. Kleinwüchsig und verdreht stehen sie, anscheinend reicht die seichte Erde ihnen nicht, um Fuß zu fassen, verkümmert sind sie und verkrümmt unter dem immertiefen Himmel. Und unter ihnen Sarah mit ihrer Tochter, dem fahlhäutigen Mädchen, vierzehn und noch immer knabenbrüstig, ins Gesicht hängt ihr das lange, offene Haar, sodass die Mutter nichts von ihr zu sehen kriegt als die entblößten Zähne im fratzenhaft verzerrten Mund.
Ihre Mutter drückt sie runter auf den Hackklotz. Da setz dich hin, sagt sie.
Einen Moment lang scheint’s, als habe eine weite Stille sich geöffnet, der Wind, in dieser Höhe sonst ein ruheloser Wanderer, regt sich nicht. Die Felsbrocken am Hang sind große Zähne, fest zusammengebissen, lauschend. In den verschlammten Pfützen ist das Mädchen ihre eigene Zeugin, sieht sie die Frau verzerrt, grau und grotesk über sich stehen. Der Augenblick der Stille ist zerstoben, ein Flügelschlagen, und schon huscht hügelwärts ein dunkler Vogel über ihren Kopf. Was ist denn bloß mit Mam passiert, wie ich geschlafen hab? denkt sie. Wer ist das bloß, der ihre Stelle eingenommen hat? Und plötzlich sieht sie, was das Herz am meisten fürchtet – aus Mutters Rock fährt dieses stumpfe alte Messer. Und dann, aus ihrer eigenen Finsternis, kommt die Geschichte ihres Bruders Colly, tief ernst die großen runden Augen, erzählt er die Geschichte einer Familie, deren Not so groß ist, dass sie das Messer an ihr Jüngstes legt. Oder war’s das Älteste? denkt Grace. Colly, immer ’ne Geschichte auf Lager, immer am Nörgeln, schwört bei seinem Le