KAPITEL EINS
Ein weiterer Tag in Mayberry, dachte Jamie Moore, während sie die letzten beiden Kundinnen für heute zur Tür derChocolate Bar begleitete. Ein böiger Herbstwind fuhr herein, als die zwei alten Damen gingen, und brachte das Glöckchen, das im Fenster hing, zum Klingeln: Kleine Pralinen, die in weiße, wie Pappbecher aussehende Porzellan-Schälchen eingebettet waren, hingen von einer pinkfarbenen, herzförmigen Pralinenschachtel herab. Sie sahen zum Anbeißen aus, genau wie die große Auswahl anderer verführerischer Pralinen, die auf silbernen Tabletts in den Glasvitrinen ausgestellt waren. Und Jamies Trüffel, ihr Konfekt und alle anderen Schokoladen-Kreationen waren nicht nur gut, sondern großartig, vorzüglich und geradezu unwiderstehlich. Zumindest sagten das alle ihre Kunden.
Jamie schaute durch das Schaufenster den beiden alten Damen nach, die mit im Wind flatternden Röcken im Schneckentempo den Bürgersteig hinuntergingen. Auf der anderen Straßenseite fegten weitere Windböen fast spielerisch das rot gefärbte Laub von dem großen Ahornbaum an der Ecke. Die durch die Luft tänzelnden und über den Bürgersteig wirbelnden Blätter erinnerten Jamie an Feen, und sie musste unwillkürlich lächeln, was sie in letzter Zeit erstaunlich oft getan hatte und tat. Vielleicht war es Heart Lake selbst oder auch nur der Zauber der Schokolade – was immer es auch war, was sie hier gefunden hatte, es hatte ihr ihr Lächeln zurückgegeben. Die Mühen und Kämpfe in L.A. lagen hinter ihr, und sie hatte ein neues Geschäft und ein neues Leben. Sie war heimgekehrt, hatte einen Schritt in die Vergangenheit zurückgetan und wieder zu sich selbst gefunden.
Natürlich war ihr Geschäft keine Goldgrube, oder jedenfalls bisher noch nicht, sodass sie sich zunächst nur eine Teilzeitkraft, eine preiswerte Mietwohnung und eine Schrottlaube als Auto leisten konnte. Aber die »preiswerte Wohnung« war ein Häuschen am Seeufer, das ihre Tante, Sarah Goodwin, für sie gefunden hatte, und die »Schrottlaube« ein Toyota, der erfreulich wenig Sprit verbrauchte. Es war also alles bestens, was sie anging.
Jamie drehte das Schild an der Ladentür so um, dass nun daraufGeschlossen zu lesen war, und erledigte dann schnell die üblichen Routinearbeiten nach Ladenschluss, wie das Reinigen der Espressomaschine, das Abwischen der Theken und das Spülen des Geschirrs. Ihre letzte Aufgabe war das Verfassen der Einkaufsliste. Sie bestellte ihre Schokolade bei einem Großhändler in Seattle, der sie aus Frankreich importierte, aber alles andere, was sie benötigte, kaufte Jamie im Ort. Heute Abend musste sie Sahne besorgen, die ein unerlässlicher Bestandteil wirklich guter Trüffel war. Außerdem brauchte sie noch mehr von dem Erdbeerlikör, den Tony DeSoto von Bere Vino stets für sie bereithielt.
Morgen würde sie schon um fünf Uhr in der Früh im Laden sein und Trüffel herstellen. Gegen zehn würde dann ihre Verkäuferin kommen und den Thekendienst übernehmen. Mittwochs war immer viel zu tun dank einer Wandergruppe, die vorbeikam, den einheimischen »MOPS-Müttern«, den Müttern von Vorschulkindern, die nach ihrem wöchentlichen Treffen auf einen Kaffee hereinschauten, und auch dank der Mitarbeiter von Lakeside-Immobilien, die mittwochs an den Hausbesichtigungstagen immer Trüffel kauften, um sie ihren potenziellen Kunden anzubieten. Und das war nur Jamies morgendliche Kundschaft. Allein schon der Gedanke an den morgigen Tag machte Jamie müde, aber das war nichts verglichen mit der Müdigkeit, die sie befiel, wenn sie an die Freitage dachte, an denen halb Heart Lake vorbeikam, um Geschenke, Partymitbringsel oder eine Kleinigkeit für sich selbst zu kaufen, um sich das Wochenende zu versüßen. Müde sein ist gut, ermahnte Jamie sich, weil es bedeutet, dass dein Geschäft immer besser läuft und du deine Miete zahlen kannst.
Als sie aus dem Laden auf die Straße trat und die Tür abschloss, trieben die Windböen schon dichte Regenschauer vor sich her. Kaum zu glauben, wie viele Wagen hier draußen parken!, dachte sie,