2. KAPITEL
„So, jetzt erläutere mir mal die These deiner Doktorarbeit und …“
Luis hatte sich gerade erst wieder neben sie in einen der mit dunklem Samt bezogenen Clubsessel gesetzt, als sie schon wieder gestört wurden. Erneut erhob er sich mit einem entschuldigenden Lächeln, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Frauen küsste er auf die Wange, den Männern klopfte er freundschaftlich den Rücken, während alle durcheinander schwatzten und lachten.
Alice lehnte sich in ihrem Sessel zurück und dachte, dass eine Weihnachtsfeier im Stewart Club eine großartige Studie zur Sozialanthropologie bieten würde. Hier schien jeder instinktiv zu wissen, wo er in der sozialen Hierarchie stand, wobei natürlich Prinz Luis von Monrosa als die Hauptattraktion des Abends bezeichnet werden musste!
Wenige Minuten nach ihrer Ankunft im Club fand er sich bereits in einem schier endlosen Karussell von Begrüßungsfloskeln wieder, hatte die Namen sämtlicher Bekannten parat und verteilte seine Aufmerksamkeit gleichmäßig und zuvorkommend auf alle.
Innerlich schüttelte Alice den Kopf. Wie leicht Menschen auf derartige Mechanismen hereinfielen! Wieso brauchte ein Mensch so dringend die Anerkennung anderer … selbst, wenn es zum eigenen Nachteil war?
Sie seufzte lautlos.
Obwohl sie die negativen, hässlichen Seiten ihres Vaters, eines ebenso erfolgreichen wie umjubelten Rugbystars, über Jahre hinweg erdulden musste, war sie nach der Scheidung ihrer Eltern vor Sehnsucht nach ihm fast vergangen. Wie oft war er betrunken oder auch gar nicht zu ihren Verabredungen aufgetaucht? Und immer wieder hatte sie ihm vergeben, wenn er sich tränenreich entschuldigte und versprach, es würde nie wieder vorkommen. Dabei war er ein so lustiger, charmanter Mann gewesen, der geborene Entertainer. Doch sobald er trank, wurde er bitter, streitsüchtig und ungerecht.
Alice sah sich erneut um.
Gemeinsam mit Luis hatte sie zuvor den Club besichtigt: die historischen Räume im Obergeschoss, die Galerie und natürlich auch die Bibliothek. Sie hatte Fotos vom großen Speisesaal mit seinen schweren Kronleuchtern und dunklen Holzvertäfelungen gemacht und sich dabei vorgestellt, wie Lady Radford hier gespeist hatte.
Nach der privaten Sightseeingtour war sie schon halb entschlossen gewesen, sich zurückzuziehen, da ihre Doktorarbeit wartete, doch dann erlag sie der Versuchung, mehr Zeit an dem Ort zu verbringen, an dem die Lady wichtige Kontakte geknüpft hatte. Möglicherweise konnte sie ja noch zusätzliche Inspiration tanken …
Um sie herum floss Champagner in Strömen, aus allen Ecken schallten ihr Geplauder und Gelächter entgegen.
Wenn sie Luis jetzt beobachtete, lachend und wild gestikulierend vor seinem begeisterten Publikum, dachte sie daran, wie er auf dem Weg hierher noch seinen Jetlag beklagt hatte. Gekleidet in einen edlen Designeranzug, hatte er ihr überzeugend versichert, ihr knielanges schwarzes Kleid sei perfekt für diese Party. Gut so, denn als Alternative hätte nur noch ein Lederrock zur Auswahl gestanden.
Leider trugen alle anderen weiblichen Gäste festliche Roben in Gold-, Silber- und Rottönen, während ihr selbst auf ihrer Besichtigungsrunde mehrfach Getränkewünsche aufgetragen wurden, weil man sie für eine Servicekraft gehalten hatte!
Gerade wandte sich Luis einer atemberaubend attraktiven Frau zu, senkte den Kopf und raunte ihr etwas ins Ohr, worauf diese die schlanken Arme um seinen Hals legte und sich die beiden umarmten … weit über das Maß hinaus, was man als vornehm zurückhaltend hätte bezeichnen können.
Alice zupfte ihren Kleidersaum zurecht. Für sie war es Zeit zu gehen. Sie stand auf und griff nach ihrer Tasche.
„Ich bin ein absolut mieser Gastgeber, oder?“
Sie zuckte mit den Schultern und hasste es, dass sein schiefes Lächeln die Kraft hatte, ihr Herz höherschlagen zu lassen. „Kein Problem, ich bin ohnehin nur mitgekommen, um Eindrücke für meine Dissertation zu sammeln, und jetzt ist es höchste Zeit für mich …“
Sie brach ab, als sie seine Hand auf ihrem Arm spürte. „Lass uns tanzen. Dabei kannst du mir dann in Ruhe deine These erläutern.“
Sie wollte Nein sagen, stattdessen verfolgte sie gebannt, wie er sich lässig seiner Smokingjacke entledigte und damit einen Körper enthüllte, der ihren Mund trocken werden ließ: Über schmalen Hüften und einem flachen Bauch bot sich ihr der Anblick breiter, muskulöser Schultern … und ein Lächeln, das sich in den goldbraunen Augen widerspiegelte und sie völlig schwach machte.
Wie ferngesteuert legte sie ihre Hand in seine und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Bereits nach den ersten Tanzschritten hätte Alice fast lustvoll aufgestöhnt, weilihr Prinz sich auf dem Parkett so sexy und geschmeidig wie eine Raubkatze bewegte, dass sie stark versucht war, es ihm nachzutun. Und das, obwohl ihre Freundinnen sie bezichtigten, noch steifer und ungelenker als eine Giraffe zu sein!
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