VOLKSRENOVIERUNG
Das Land der Sachsen
»Von den armen Ungarn, von den armen Szeklern lebte das Heer überall in Saus und Braus; zu unsrem freudigen Wohlbefinden suchten wir die Herren und die Städte auf, überall beschenkte man die armen Recken reich: nur das eine Hermannstadt murrt und knurrt, nichts von ihren Gütern trugen sie auf, alle wurden sie versteckt in einem geheimen Haus …«
ZSIGMOND MÓRICZ,Siebenbürgen
Mit meinen Reisebegleitern fuhren wir an einen Ort, der angeblich beseelt ist. Die Rumänen sind, so heißt es, ungezähmt, unbändig, ein wenig rau, doch große Träumer. Ihr Nervenkostüm ist kosmisch, sie tragen das ganze offene Universum in sich. Allerdings wurde meist nur über sie gelacht. Ihr Bild von der Vergangenheit war einfach nur zu belächeln, die Geschichte ein abgerundeter Mythos auf ihrem Schreibtisch. Vor zweihundert Jahren bezeichneten die Reisenden aus dem Westen die Walachen noch abschätzig als Bauern, und diese hatten nichts, mit dem sie sich hätten wehren können, winkten nur mit Hacke und Mistgabel zurück. Sie waren tatsächlich Bauern. Dann kam die Zeit der Worte, die Romantik, und die Rumänen schrieben lauter schöne und erbauliche Sachen über ihre eigene Seele, so wie die Gelehrten und Dichter andernorts, hier bei uns, in Mitteleuropa. Es handelte sich dabei keineswegs um einen billigen oder geistlosen Eifer. Sie waren unschuldig, wollten die Fremden nur von ihrer Daseinsberechtigung überzeugen. Aber das konnten sie nicht. Oder doch? Im zwanzigsten Jahrhundert wurden sie bereits regelrecht ausgelacht, während man ihre Diktatur überaus fürchtete. Die Rumänen bestimmten die Anordnung der Region in diesem Jahrhundert schon maßgebend, sie drängten nach vorn, so gut sie konnten. Ihre Existenz war ärgerlich und herzergreifend zugleich.
Die Mehrzahl der Reisenden wusste kaum etwas mit ihnen anzufangen, lieber wählte man den einfacheren Weg, man sah auf diese Aufgeschlossenheit und Arglosigkeit, auf diese Desorganisation und Direktheit herab, mit der die Fremden hier empfangen wurden. Selbstverständlich bedachte man sie mit sehr viel hässlicheren Worten. Schade. Oder auch nicht. Es ist viel interessanter, sich mit einem falschen Bild auf die Reise zu machen als mit einem wahren. Die Wahrheit ist langweilig und abgegriffen, und wenn dies zutrifft, dann ist auch die Reise nur eine reine Wiederholung wohlbekannter Phrasen, die der Seele eines Volkes angehängt worden sind. Macht man sich aber mit einem vorab falschen Bild auf den Weg, so werden einem keineswegs sanft einlullende Worte zuteil. Statt dieser Worte sorgte der Ausflug nämlich für lauter Überraschungen.
Ein Fenster in die Zukunft
Wir machen uns mit demselben österreichischen Alpenbus auf die Reise wie in die Ukraine. Einige Plätze sind leer, viele haben ihre Buchung abgesagt, da sie mit nichts besonders Sehenswertem rechnen. In Siebenbürgen waren sie schon, dieser uralte Zwist kann ihnen wirklich keine Überraschung mehr bieten; die wildromantischen Schluchten und Almen sind alte Bekannte: langweilige Kontrastpunkte zur riesigen ungarischen Tiefebene. Beim Anblick der leeren Plätze lässt unsere Begeisterung etwas nach. Dann machen wir uns breit.
Unsicher überqueren wir die Grenze bei Biharkeresztes: Gibt es das wohl, wegen dessen wir uns auf den Weg gemacht haben? Gibt es das noch, nach dem wir suchen? Die Festungen der Vorurteile sind stark. Wir blättern in den neuen Bänden des Verlags Cartographia,Berge und Gewässer in Großungarn, mit Beilage, das klogrüne Gebiet ist »derzeit unter walachischer Besatzung«. Dann verwerfen wir schnell die Politik. Doch ist es, als würde sie uns im Partium stets entgegenkommen, hier ist es schwer, den Konflikten aus dem Weg zu gehen. Am Straßenrand, in den Toiletten, beim Geldwechsel oder beim Einkauf taucht das eine oder andere erinnernde Zeichen auf. Tatsächlich auf recht selbstverständliche Art und Weise, neben dem Reichtum Trümmer, unter dem Fortschritt breitet sich barfüßiges Elend aus. Verlassene Fabrikgelände am Straßenrand, gleich hinter der Grenze. Ungekämmte, zerzauste Überreste der Diktatur. Dann lauter Überraschungen, die Straßen sind gut, und man kann alles bekommen, den neuesten Traktor und chinesische strassbesetzte Kulturbeutel, in jedem Dorf durchsichtige Gummistiefel und Schweizer Taschenmesser. Oradea ist mal wunderschön, mal abstoßend altmodisch. Die Jugendstilfassaden fallen aus dem Himmel beinahe auf uns herab,