VORWORT
von Swetlana Gannuschkina
Putins Krieg: Die größte Tragödie meines Lebens
Dieser Krieg gegen die Ukraine ist die schlimmste Tragödie meines Landes in den 80 Jahren meines Lebens. Das ist sehr beängstigend und sehr beschämend.
Natürlich habe ich dennoch weiterhin viele Freunde in der Ukraine. Ich rufe sie an und schreibe ihnen, um herauszufinden, ob sie sicher sind. Es ist sehr schmerzhaft, als Antwort zu hören, dass unsere Granaten in der Nähe ihres Hauses explodieren. Aber ich verstehe, dass sie mich nicht beleidigen wollen. Es ist eine Tatsache, dass unsere Geschosse dort einschlagen und Menschen sterben. Und dafür sind wir verantwortlich.
Gemeinsam mit ukrainischen Menschenrechtsaktivisten arbeiten wir weiter gemeinsam an Fällen von Flüchtlingen aus Russland, die in der Ukraine Asyl suchen. Der Leiter der Charkiwer Helsinki-Gruppe, Evgeniy Sacharov, ist wie ich Mitglied des Vorstandes von Memorial International. Wir sind uns einig in der Einschätzung dessen, was jetzt geschieht. Meine ukrainischen Kollegen versuchen auch jetzt noch, mich bei meiner Arbeit mit Flüchtlingen zu unterstützen. Ich hoffe, dass ich umgekehrt auch für sie nützlich bin.
Die vergangenen Tage habe ich ununterbrochen dieses Déjà- vu-Gefühl gehabt. Immer wieder kam mir das Jahr 1968 in den Sinn, als alle Zeitungen geschrieben hatten: »Die Sowjetunion wird sich nicht in die Tschechoslowakei einmischen.« Diese Zusicherungen waren zwar nicht glaubwürdig, aber sie hatten uns doch einen Funken Hoffnung gelassen. Nur hatte die sich leider nicht erfüllt. Jetzt ist es wieder passiert. Wieder haben wir Lügen, Verbrechen und Schande. Aber dieses Mal ist es noch schlimmer. Dabei kommt mir der Autor George Orwell in den Sinn: »Krieg ist Frieden, Lügen sind Wahrheit.« Und der große Bruder wacht mit einem wachsamen Auge über uns.
Der Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968, die Bombardierung von Grosny in der Silvesternacht 1995 und der Beginn des Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 stehen für mich in einer Reihe. Im letzteren Fall ist die Sinnlosigkeit des Geschehens am offensichtlichsten: Es gibt keine russischen Interessen in diesem Krieg. Dieser Krieg zerstört Russland eher als die Ukraine.
Zwar haben in den sozialen Netzen einige prominente Persönlichkeiten unseres Landes, wie Sportler, Künstler oder Politiker, gegen diese Aggression Stellung bezogen. Doch ich glaube nicht, dass Putin diesen Intellektuellen viel Aufmerksamkeit schenkt. Wahrscheinlich denkt er vielmehr: »Denen müsste die Regierung noch einiges beibringen, sie umerziehen«, und hält ihnen im Geist warnend den Zeigefinger entgegen.
Das ist es nun mal, was alle Diktatoren von der Antike bis zu Hitler und Stalin dachten und bis heute denken.
Was kann die russische Zivilgesellschaft tun?
Wir dürfen nicht aufgeben und keine Angst haben. Wir müssen mit den Menschen in unserem Umfeld sprechen, schreiben oder uns in den Medien äußern. Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, um uns gegen den Krieg auszusprechen. Natürlich müssen wir so viele Kontakte wie möglich mit unseren Gleichgesinnten außerhalb Russlands, insbesondere in der Ukraine, pflegen.
Was kann man von der Opposition im Land erwarten? Von welcher Opposition – den Kommunisten? Oder von Schirinowski?
Die Partei »Jabloko« hat sich selbst zur Partei des Friedens erklärt. Es gibt dort einige kluge Köpfe, aber der Einfluss von Jabloko ist in den meisten Regionen leider gering.
Ich weiß nicht, wie man diesen Krieg stoppen kann, denn leider hängt das von einer Person ab. Einer Pe