: Ingrid Meyer-Legrand
: Die Kraft der Kriegsenkel Wie Kriegsenkel heute ihr biografisches Erbe erkennen und nutzen
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958904644
: 1
: CHF 13.30
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kraft zu Aufbruch und Veränderung: Die Ressourcen der Kriegsenkel Aufgewachsen mit traumatisierten Eltern, die als Kinder Krieg und Flucht erlebt haben, ist die Generation der Kriegsenkel in den letzten Jahren verstärkt in den Blick geraten. Doch ist das ganz besondere Erbe, das sie tragen, nur belastend? Durch ihre Familiengeschichte und besondere Sozialisation haben viele von ihnen eine mentale Ausstattung entwickelt, die es ermöglicht, mit heutigen Herausforderungen besser umzugehen. Die systemische Therapeutin Ingrid Meyer-Legrand richtet den Fokus auf die Ressourcen der Kriegsenkel. Viele von ihnen wagen es nicht, beruflich oder privat wirklich anzukommen. Doch dieses 'Immer-wieder-neu-Anfangen', diese Ruhe- und Rastlosigkeit lasst sich auch als Kompetenz betrachten, eine besondere Fähigkeit, flexibel mit Veränderungen umzugehen. Mit der von der Autorin speziell entwickelten Biografiearbeit wird es möglich, den roten Faden im eigenen Leben zu erkennen. Die innere Erfahrung, immer noch auf der Flucht zu sein, die bei vielen Kriegsenkeln vorherrscht, kann sich auflösen. Das bisherige Leben erscheint als weniger fragmentiert, sinnvoller und kohärent - und nicht selten stellt sich eine Hochachtung vor der eigenen Lebensleistung ein. So lassen sich die einzigartigen Kompetenzen der Generation Kriegsenkel im Umgang mit den Herausforderungen ihrer individuellen Biografie und der Zeitgeschichte wertschätzen und als Chance nutzen.

Ingrid Meyer-Legrand ist systemische Therapeutin, Supervisorin und Coach in eigener Praxis in Berlin und Brüssel sowie Dozentin an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Berlin. Zahlreiche Fachveröffentlichungen zum Thema Kriegsenkel. Sie ist eine der ersten Therapeutinnen, die mit den Ressourcen der Kriegsenkel arbeitet.

Einführung


Wie erzählen wir unsere Geschichte?


Im Zuge einer allgemeinen öffentlichen Aufarbeitung der Schrecken des Nationalsozialismus, der Verfolgung und Ermordung von Millionen von Menschen, des Krieges und der Flucht ist auch das besondere Schicksal der einstigen Kriegs- und Flüchtlingskinder1 endlich ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Lange Zeit durfte über das Leid dieser Kinder nicht gesprochen werden, denn im Land der Täter durfte es keine Opfer geben. Und doch waren diese Kinder Opfer der verheerenden Politik der Nationalsozialisten, die schließlich zu einem grauenhaften Krieg führte, von dem kaum eine Familie in Europa verschont blieb.

Wie lange lässt sich ein gesellschaftlich verursachtes Leid verdrängen? In der Bundesrepublik hat es fast bis ins Jahr 2000 gedauert. Mit dem Kriegskinder-Kongress2 gelang es, das bis dahin ins Private abgeschobene Leid in die Öffentlichkeit zu holen.

Schon wenige Jahre später folgten diesen ihre Nachkommen – die Kriegsenkel – und begannen, über ihr Aufwachsen bei ebenjenen (Kriegskinder-)Eltern zu sprechen. Während noch vor ein paar Jahren kaum jemand etwas mit dem Begriff »Kriegsenkel«3 anzufangen wusste, findet man heute in fast jeder größeren Stadt sogenannte Kriegsenkel-Gruppen, in denen ein reger Austausch über den langen Schatten stattfindet, der sich auch auf ihr Leben erstreckt.

Das ins Private gedrängte Leid der einstigen Kriegs- und Flüchtlingskinder wurde schließlich auch wie ein privates Thema behandelt – Familienangehörige waren dafür zuständig, ihre eigenen Kinder – die Kriegsenkel. Häufig wussten sie nicht, worunter ihre Eltern litten, und konnten sich nicht erklären, woher die bedrückende Schwere kam. Schließlich gab es dazu keine Geschichte. Intuitiv aber nahmen die Kinder wahr, dass ihre häufig schwer traumatisierten Eltern Hilfe brauchten. Nahezu von Beginn ihres Lebens an taten Kriegsenkel alles, um ihre Eltern zu »retten«. Hier beginnt ihre Geschichte. Dieses Aufwachsen mit Menschen, die von Nationalsozialismus, Verfolgung, Krieg und Flucht traumatisiert waren, hat sie geprägt.

Bis zu dieser öffentlichen Debatte haben sich die 1950er- bis 1980er-Jahrgänge verschiedene Phänomene, die für ihr Leben noch heute charakteristisch sind, nicht erklären können. Schließlich waren die Kriegsenkel doch in Frieden und in Zeiten von Wachstum und Wohlstand aufgewachsen. Welchen Zusammenhang sollte es geben zwischen ihr