Nikolaus, du böser Mann
Irgendwo im Schwarzwald
Barbara Saladin
Nie hätte ich gedacht, dass es so weit kommen könnte mit mir. Ich war immer so ausgeglichen, friedfertig und großzügig. Ich war das Gute in Person. Früher. Doch dann kam Coca Cola.
Gestatten, mein Name ist Nikolaus. Sankt Nikolaus. Ich lebe im Schwarzwald, tief unter den dunklen Tannen. Das glauben jedenfalls die Kinder in der benachbarten Schweiz, denen ich seit Jahrhunderten (ja, ich bin sehr alt!) am sechsten Dezember, dem Namenstag des heiligen Nikolaus, Geschenke bringe. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, heißt es ja. Seit Aufnahme meiner Nikolaustätigkeit brachte ich dem Nachwuchs Äpfel, Birnen, Wal- und Erdnüsse, Weckmänner, Lebkuchen und als Höhepunkt, so mit den Jahren, auch Plätzchen wie Anisbrötle oder Spitzbuben sowie das eine oder andere Schokolädle. Früher, da waren alle meine Geschenke essbar – nichts da mit Plastikspielzeug oder batteriebetriebenen Kunststoff-Einhörnern!
Unartigen Kindern versohlte ich den Hintern mit der Rute oder drohte damit, die besonders ungezogenen Bälge in meinen Sack zu packen und mit in den Schwarzwald zu nehmen. Das half meistens – damals, als ich noch nicht fürchten musste, deswegen vonden Eltern strafrechtlich verfolgt zu werden. Allerdings war es schon früher eher selten, dass ich wirklich Hand anlegen musste, denn in den meisten Fällen reichte bei Uneinsichtigkeit und allzu forschem Verhalten eine entsprechende Drohung. Da bin ich nicht anders als die Politiker: Schreckliche Konsequenzen voraussagen, und schon kuschen alle.
Item: Dass ich im Schwarzwald lebe, ist eigentlich nur die halbe Wahrheit. Hier befindet sich bloß mein Zweitwohnsitz, oder besser gesagt meine Arbeitsbasis. Der Ort, wo ich mich während der elf Monate aufhalte, wenn ich nicht mit Vorbereitungen für meinen großen Tag beschäftigt bin, ist streng geheim. Es ist auch nicht Myra, wo der heilige Nikolaus herkam und wie man deswegen vielleicht glauben könnte. Ja, der ursprüngliche Nikolaus war Türke. Ich aber lebe irgendwo unter anderer Identität, und keiner erkennt mich übers Jahr in Zivil.
Bisher verlief mein Alltag stets ebenso unspektakulär wie ungestört und zufrieden. Übers Jahr gärtnerte ich, kümmerte mich um meine Hühner und Kaninchen, und wenn die Blätter sich allmählich verfärbten und die Nächte kälter wurden, bereitete ich mich auf meinen alljährlichen Einsatz vor. Doch vor einiger Zeit schlichen sich allmählich Veränderungen in die Advents- und Weihnachtszeit. Zuerst sah ich nur die Spuren von dem, der Schuld daran war. Es dauerte lange, bis ich begriff. Doch es häuften sich die Strümpfe, die neben dem Kamin hingen, wenn ich auf Kundenbesuch unterwegs war. Dann bevölkerten immer mehr Abbilder von mir in den geschmacklosesten Abänderungen und Varianten aus Polyethylen, Polypropylen oder leuchtenden LED-Röhren ab Oktober die Vorgärten – k