1. KAPITEL
„Ho, ho, ho! Ihr könnt aber schon gut eislaufen!“
Shannon Duffy lächelte über das, was sie hörte und sah, als sie aus ihrem Wagen stieg.
Nach einer langen und anstrengenden Fahrt war sie endlich in der Kleinstadt Northbridge im Bundesstaat Montana angekommen. Als sie direkt am Hauptplatz der Stadt einen freien Parkplatz entdeckte, fuhr sie sofort in die Lücke, damit sie aussteigen und sich strecken konnte.
Ganz in der Nähe befand sich eine offene Eisfläche, auf der eine Gruppe von Kindergartenkindern vom Weihnachtsmann persönlich Unterricht im Eislaufen bekam. Oder zumindest von jemandem, der als Weihnachtsmann verkleidet war und die Kinder mit fröhlichen Ho-ho-hos aufmunterte.
In einer guten Woche war schon Weihnachten, und Shannon war alles andere als traurig, dass sich das Jahr dem Ende näherte. Es war kein leichtes für sie gewesen.
Sie seufzte bei dem Gedanken an all die Schwierigkeiten des Jahres …
Doch als sie die kalte, frische Kleinstadtluft einatmete und die lachenden Kinder auf dem Eis sah, freute sie sich, dass sie hergefahren war. Sie fühlte sich schon etwas weniger einsam und allein als noch vor einer Minute. Es war beinahe, als würde die Kleinstadt sie willkommen heißen, die ihre vor Kurzem verstorbene Großmutter so geliebt hatte.
Shannon hatte in diesem Jahr drei Verluste erlitten. Vier sogar, wenn sie Wes mitzählte.
Anfang Januar war ihr Vater gestorben, drei Monate danach ihre Mutter. Der Tod ihrer Adoptiveltern kam nicht überraschend: Beide waren viele Jahre lang krank gewesen. Doch als im August auch noch ihre Großmutter an einem ebenso plötzlichen wie unerwarteten Herzinfarkt starb, war es ein Schock für Shannon gewesen. Innerhalb weniger Monate hatte sie ihre gesamte Familie verloren.
Und dann war auch noch ihre Beziehung zu Wes Rumson gescheitert …
Für ihre Reise nach Northbridge gab es zwei Gründe. Shannon war zu einer Hochzeit eingeladen worden und wollte die Feiertage mit den Menschen verbringen, die vielleicht ihre neue Familie werden würden.
Vor zwei Monaten hatte sich ein Mann namens Chase Mackey bei ihr gemeldet und ihr aus heiterem Himmel eröffnet, dass er ihr Bruder war. Und nicht nur das: Sie war eines von insgesamt fünf Kindern – drei Brüder, zwei Schwestern –, die nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Autounfall teilweise getrennt und zur Adoption freigegeben worden waren. Damals war sie achtzehn Monate alt gewesen.
Shannon hatte gewusst, dass sie adoptiert war. Wovon sie vor Chase Mackeys Anruf jedoch keine Ahnung gehabt hatte, war, dass sie irgendwo auf der Welt Geschwister hatte.
Und wie sich im Gespräch mit Chase herausstellte, lebte einer ihrer Brüder noch nicht einmal allzu weit entfernt von ihr, denn Chase rief sie aus Northbridge an, der Stadt, in der ihre Großmutter gelebt hatte und wo sich die Farm befand, die Shannon nach dem Tod der alten Dame geerbt hatte.
Diese Farm war der zweite Grund, weshalb sie nach Northbridge gekommen war. Da sie keinerlei Verwendung für eine solche Immobilie hatte, würde sie heute die Dokumente für den Verkauf von Haus und Grundstück unterzeichnen.
„Hoppla, Tim! Hast du dir wehgetan?“
Einer der kleinen Eisläufer war hingefallen, und die Frage, die Shannon gehört hatte, kam vom Weihnachtsmann. Der war erstaunlich sportlich zu dem Jungen gerast und hatte mit elegantem Schwung vor ihm abgebremst. Der lange rote Mantel und das Kissen, das woh