: Dolores Schmidinger
: Hannerl und ihr zu klein geratener Prinz
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218010887
: 1
: CHF 15.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wir schreiben das Jahr 1938. Bei der 'Gewerkschaft der Arbeiter im Lebens- und Genussmittelgewerbe' trifft die quirlige Sozialdemokratin Johanna Deweis, die ihre Karriere fest im Blick hat, auf den linkischen Erzkatholiken Josef Schmidinger, der sich als Tenor auf den Bühnen der Welt wähnt. Trotz aller Unterschiede kommt sich das ungleiche Paar näher - aber ob diese Verbindung auf Dauer gutgehen kann? Schauspielerin und Kabarettistin Dolores Schmidinger taucht mit dem ihr eigenen fatalistischen Humor in die (Un-)Tiefen ihrer Familiengeschichte ein und entwirft ein Panoptikum an eigenwilligen Charakteren: Freigeister und Revoluzzer, Genussmenschen und Selbstverleugnerinnen, glühende Nationalsozialisten und bigotte Mitläufer. Entlang der Lebenslinien ihrer Eltern und Großeltern liefert Schmidinger mit spitzer Feder eine Parabel darauf, wie Lebensträume am Alltag zerschellen, Frauen sich (noch immer) für Männer klein machen - und nicht zuletzt darüber, wie Mitläufertum in Zeiten einer Diktatur zum Normalfall wird.

Dolores Schmidinger, geboren 1946, Schauspielerin (u.a. Turrini, Schnitzler, Schwab - am Volkstheater, Theater in der Josefstadt, Thaliatheater Hamburg), Filmschauspielerin (u. a. in 'Lamorte', 'Kaisermühlen-Blues') und Kabarettistin. Zu ihren erfolgreichsten Programmen gehören 'Die nackte Matrone', 'Mit den Waffe(l)n einer Frau', 'Domina im Ausverkauf' und 'Unartig'. Seit 2005 auch Regisseurin, u.a. der Operetten 'Der Bettelstudent' und 'Der fidele Bauer' beim Lehár-Festival in Bad Ischl. Autorin des autobiografischen Ratgebers 'Bulimie: Raus damit!'

ERSTES KAPITEL


Die Barbara wundert sich, dass sie immer dicker wird. Es kann doch nicht sein, dass sie schwanger ist. Ihre Blutung ist zwar zweimal schon ausgeblieben, aber das kommt von den kalten Füßen, die man sich im Weinkeller beim Abfüllen holt.

Und wie sollte sie auch schwanger sein? Schwanger wird man, wenn man mit einem Mann im Bett schläft, oder? Sie hat mit ihrer Schwester in einem Bett geschlafen, aber das ist lange her. Und sie ist einem Männergesicht nicht in die Nähe gekommen – falls die Erntehelferin, die Liesi, recht hat, dass man schon vom Küssen schwanger werden kann. Sogar dem Franz ist sie aus dem Weg gegangen, obwohl er sie immer so angeschaut hat, wenn sie vorbeigegangen ist, vom Kopf über die Brust, und seine Augen sind dann zwischen ihren Beinen hängengeblieben.

Nein, da gibt es keine Sünde in der Ortschaft Oberdürnbach, Gemeinde Maissau in Niederösterreich, im Jahr 1913. Außer hie und da eine Birne von einem Baum stehlen. Da geht alles mit rechten Dingen zu, auch am Hof des Weinhauers Alois Prager und seiner Familie. Die Mutter Caroline, der Stammhalter Alois junior und die Töchter Pauline und Barbara. Ihr Hof liegt am Ende der Ortschaft, dort, wo die Felder anfangen. In der Kellergasse steht das Presshaus mit dem Weinkeller, die weiß gekalkte Fassade mit Efeu bewachsen.

Man hat eine Magd für die Arbeit im Haus und einen Gesellen, der bei der Arbeit im Weingarten hilft. Dem jungen Alois soll einmal das Weinanbauen vererbt werden, aber er will bei der Infanterie marschieren, für Kaiser und Vaterland.

Es geht so dahin mit dem Leben am Hof, wo der Haustrunk immer am Tisch steht: ein Drittel heuriger Wein, zwei Drittel Wasser und drei Esslöffel Zucker. Das hilft gegen den Durst der ganzen Familie.

Die Barbara ist jetzt 23 und hat bisher mit den Burschen nicht viel anzufangen gewusst. Sie ist auch nicht so hübsch wie die anderen Mädchen und versteht es nicht, sich aufzuputzen.

S