1. KAPITEL
Aphrodite
»Cut«, schreit ein Mann, den ich wegen der blendenden Scheinwerfer, die auf uns gerichtet sind, nicht erkennen kann. Nur das Blitzen der Kameraobjektive sehe ich, alles, was dahinterliegt, versinkt im Dunkeln.
Genervt lasse ich mein Besteck sinken. Schon wieder. Mein Essen ist längst kalt, und ich habe nicht mehr als zwei Bissen zu mir nehmen können, weil irgendjemandem in der schützenden Dunkelheit hinter den Kameras nicht zu passen scheint, worüber meine Familie und ich uns am Tisch unterhalten. Alle sind hier. Meine Eltern, meine Geschwister und ein zwanzigköpfiges Kamerateam.
Ein ganz normales Familiendinner also.
»Haben wir es bald mal?«, stößt Hadrian, der mir gegenübersitzt und sein Essen noch verzweifelter anstarrt als ich meines, seufzend hervor.
»Wenn ich noch einmal denselben Satz sagen muss, raste ich aus«, murmelt Athena auf dem Stuhl neben mir, die immer automatisch ein Stück von mir abrückt, sobald die Kameras nicht mehr laufen.
Hadrian und sie sind ein eingespieltes Team. Es vergeht kein Drehtag, an dem sie nicht die Augen verdrehen oder lautstark ihr Missfallen kundtun.
»Stellt euch nicht so an«, ermahnt meine Mutter die beiden über die gedeckte Tafel hinweg. Ich kann mir ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, deswegen verstecke ich es hinter dem Weinglas, das ich an meine Lippen führe. Manchmal frage ich mich, wann meine Geschwister und ich anfangen werden, uns wie Erwachsene zu benehmen. Da wir schon um die zwanzig Jahre alt sind, ist es wohl langsam so weit, die Hoffnung aufzugeben, dass dieser Tag jemals kommen wird.
»Haben wir genug im Kasten?«, richtet sich meine Mom an die Stimme aus dem Off. So nenne ich alle Regisseure, die in den letzten Jahren am Set vonCatching up with the Carters, der Reality-TV-Show meiner Familie, gearbeitet haben. Sie bleiben nicht lange genug, dass es sich lohnen würde, sich ihre Namen zu merken. Jeder im Business weiß, dass Evelyn Carter hohe Ansprüche hat, die niemand erreichen kann. Am wenigsten ihre eigenen Kinder. Meine Mutter ist immer perfekt und vergisst deswegen gern, dass niemandem Perfektionismus so liegt wie ihr.
Ungeduldig streicht sie eine Strähne, die dreist genug war, ihrer perfekten Frisur zu entweichen, wieder hinter ihr Ohr. Ihre schwarzen, vollen Haare hat sie an jedes ihrer sieben Kinder vererbt. Unserem Dad sieht keiner von uns wirklich ähnlich. In den Medien kursieren viele Witze und nicht ernst gemeinte Theorien darüber. Mein Favorit: Wir wurden nicht gezeugt, wir sind durch Zellteilung entstanden.
»Haben wir es dann endlich, Darling?«, fragt mein Vater vorsichtig. Er ist der Einzige, der sich das erlauben darf, ohne sich dafür einen schnippischen Kommentar einzufangen. Zumindest wenn meine Mutter einen guten Tag hat.
Meine Mom steht auf und verschwindet hinter den Kameras, kehrt in die nicht perfekt ausgeleuchtete Realität zurück. Obwohl – ist das überhaupt die Realität für ein Mitglied der Carter-Familie? Ein Esszimmer, auf das Kameras gerichtet sind, beschreibt mein Leben eigentlich ziemlich passend.
Mein Dad unterhält sich am anderen Tischende leise mit meinen älteren Geschwistern Octavian, Caesar, Hera und Demeter, bis meine Mutter zurückkehrt.
»Wir haben es gleich«, verkündet sie, und wir seufzen. Schon seit Monaten drehen wir für die neue Staffel vonCatching up with the Carters. Heute sollte der letzte Drehtag sein. Aber er will einfach nicht enden. »Ich will nur, dass ihr Mädchen noch kurz einen Blick in diese Zeitschrift werft. Ich brauche ein paar unverschämte Kommentare.« Zwei Produktionsassistenten lösen sich aus der Schwärze, schnappen uns das Essen unte