PROLOG
»Unter der Laterne vor der Reichskanzlei
hängen alle Bonzen, der Führer hängt dabei.
Und alle Leute bleiben steh’n,
sie wollen ihren Führer seh’n!«
Der Mann in abgewetzter grauer Uniformjacke mit herausgeschnittenem Wehrmachtsadler und Hakenkreuz singt laut, damit er die eigenen Worte versteht. Draußen vor den Gefängnismauern donnert die russische Artillerie seit Tagen. Kaum mehr zu hören ist ein deutsches Maschinengewehr. Das ist Albert Schwerdtfegers einzige Freude, der zusammen mit 26 weiteren sogenannten Defätisten, Deserteuren und Verrätern in Wehrmachtuntersuchungshaft im Zellengefängnis an der Lehrter Straße 3 in Berlin-Moabit einsitzt. Wenn es doch den Russen noch gelänge, dieses eine Gebäude einzunehmen, bevor man ihn hinrichten wird, denkt der Gefreite. Dummerweise hat er dieses Lied, das der Grund für seine Verhaftung war, immer schon recht laut gesungen. Daher hatten es auch zwei Feldpolizisten gehört und ihn in der halbzerstörten Likörfabrik erwischt, in der er bleiben und so lange Zitronenschnaps trinken wollte, bis der Krieg aus war. Dass es sich nur noch um Tage handeln konnte, war für ihn abzusehen. Heute ist der 29. April 1945, aber noch immer wird gekämpft.
»Warum tun die Kameraden sich das noch an?«, fragt Schwerdtfeger laut, aber die anderen Soldaten, die hier im Dunkeln auf ihren Matratzen liegen, antworten ihm nicht. »Verdammte Kettenhunde«, schreit Schwerdtfeger, bevor er wieder sein Lied anstimmen will. Doch gerade als er seine Lippen öffnet, katapultiert ihn die Druckwelle einer gewaltigen Explosion durch den Raum. Mit dem Kopf schlägt Schwertfeger gegen einen Gitterstab, hält sich benommen die Hand vor die Stirn. Als er sie runternimmt, kann er seinen Augen kaum trauen – sie werden von Feuer geblendet. Heller Rauch schießt durch ein breites Loch, das sich in der Mauer abzeichnet, mitten hinein in die Zelle. Schwerdtfeger hört seine Mithäftlinge husten und schreien.
»Das gibt es doch nicht«, ruft der Soldat laut und läuft, ohne eine weitere Sekunde zu zögern, auf die unverhoffte Öffnung zu, schlüpft hindurch und ist: frei!
Draußen sucht er kurz Schutz im nächsten Hauseingang. Mit dem Ellenbogen klopft er gegen seine Hose, die leicht Feuer gefangen hat. Schwerdtfeger blickt sich um. Aus dem Loch kriechen weitere Soldaten, einem fehlt der Arm. Er dreht sich angewidert weg, ihn hält hier nichts mehr. Ohne zu wissen, wohin, rennt Schwerdtfeger