: Marie Kresbach, Priska Lachmann
: Steh auf, mein Kind, und geh! Wie ich durch Gottes Stimme den Völkermord an den Tutsi in Ruanda überlebte und Freiheit fand.
: Gerth Medien
: 9783961224968
: 1
: CHF 8.10
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Marie ist neun Jahre alt, als in ihrem Heimatland Ruanda der Völkermord ausbricht. Unzählige Tutsi verlieren ihr Leben - darunter auch enge Familienangehörige. Mit einem Mal ist sie auf sich allein gestellt und weiß nicht, was sie tun soll. Bis sie unvermittelt eine leise Stimme hört, die ihr genau sagt, was als Nächstes dran ist. Durch wundersame Fügungen gelingt ihr die Flucht bis nach Deutschland. Trotz schwerster Traumatisierung schafft Marie es, dort Fuß zu fassen und wächst zu einer nach außen hin selbstbewussten jungen Frau heran. Doch etwas in ihr bleibt verbittert und tief verwundet. Eines Tages hört sie plötzlich wieder diese leise Stimme: Gott führt sie ein zweites Mal in die Freiheit - dieses Mal endlich auch in die innere. Eine Lebensgeschichte, die betroffen macht und staunen lässt - über einen Gott, dessen leise Stimme lauter ist als jedes Kriegsgeschrei, und über seine unfassbare Kraft der Vergebung, die immer das letzte Wort spricht.

Priska Lachmann lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Seit ihrem Theologiestudium an der LEE University im US-Bundesstaat Tennessee und an der Universität Leipzig arbeitet sie als Autorin, Bloggerin und freie Redakteurin.

Kapitel 1


Die Blätter der Bananenstauden sind wie ein schützendes Dach über mir. Ich halte die Hand meiner Mama ganz fest – so fest, wie ich sie mit meinen neun Jahren nur halten kann. Meine Handknöchel treten weiß hervor und ich spüre, wie meine Mama mich ebenfalls krampfhaft festhält. Ich fühle mich sicher neben ihr und habe gleichzeitig Angst, sie zu verlieren. Unsere Füße wirbeln Staub auf. Ich laufe neben ihr. Schritt für Schritt. Ich setze einen Fuß vor den anderen. Hoffentlich stolpere ich nicht! Meine Mama läuft direkt neben mir. Ich spüre ihre Anspannung. Meine Füße scheinen den Boden kaum zu berühren, so elektrisiert bin ich. Ich schaue nur geradeaus, wage nicht, mich umzudrehen. Die Angst kriecht mir den Nacken hoch. Was wird passieren?

Ich höre meinen Herzschlag im Ohr, spüre, wie mir das Adrenalin, das durch meinen Körper pumpt, mehr Kraft gibt, als ich eigentlich besitze. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Wie in einem Tunnel gehen wir die ersten Schritte in die Bananenplantage. Hoffend auf ein Wunder. Plötzlich ertönt ein Schuss. Er ist so laut, dass es in meinen Ohren klingelt. Er hallt von den Hügeln wider und das Echo zeugt von dem traumatischen Ereignis, das gerade hinter uns passiert ist.

Ruanda nennt man auch „das Land der 1000 Hügel“. Nun singen die Hügel ein entsetzliches Lied. Ich mache den Fehler und drehe mich nun doch um – und was ich in diesem Moment sehe, werde ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen können.

SECHS MONATE VORHER – OKTOBER 1993


Ich gehe in unsere Küche. Es riecht mal wieder verlockend gut hier! Meine Mama hilft unseren treuen Mitarbeiterinnen beim Kochen. Eine von ihnen rührt gerade in den großen Töpfen, die auf heißen Steinen stehen. „Was gibt es denn?“, frage ich und stelle mich neugierig auf die Zehenspitzen, um einen Blick in die Töpfe werfen zu können. „Reis mit Isombe, dein Lieblingsessen“, lächelt Mama mich an. Ich strahle zurück. „Oh, Mama, lecker! Soll ich Papa schon mal zum Essen holen?“ Ich warte ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern drehe mich gleich um und hüpfe leichtfüßig davon. Meinen Papa in dem großen Haus zu finden ist gar nicht schwer, denn man muss einfach immer nur den Klaviertönen hinterherlaufen, die eine Klangspur durchs ganze Haus legen.

Ich setze mich neben ihn auf den Klavierhocker und schaue bewundernd auf seine Finger. Sie sehen so aus, als hätten sie ein Eigenleben, während sie sich schnell über die weißen und schwarzen Tasten bewegen. Nachdem mein Papa die letzten Töne gespielt hat, verharren seine langen, schmalen Finger noch kurz auf den Tasten. Die Musik hängt noch im Raum, verhallt nur langsam. Ich bewundere ihn dafür, dass er sich das Notenlesen und auch das Klavier spielen allein beigebracht hat.

„Na, Cadette“, sagt er zärtlich und streicht mir liebevoll über den Kopf.

„Was hast du da gerade gespielt, Papa?“, frage ich.

„Ein Stück von Beethoven. Das war ein sehr berühmter Komponist aus Deutschland.“

„Aus Deutschland … Schön, dass meine große Schwester dort lebt!“, antworte ich.

Verträumt schaut er auf die Klaviatur.

„Als deine Schwester in Deutschland früher einmal Urlaub gemacht und die großartigen klassischen Konzerte dort besucht hat, sagte sie danach zu mir, dass ich jetzt ein großer Dirigent wäre, wenn ich in De