5 LOVE IS THE KEY
Aber sicher ist es besser, wenn wir der Reihe nach vorgehen. Also nehmen wir an, Jan sei das erste Mal am Meer gewesen, während Sonja dort jeden Stein kannte, da sie jeden Sommer mit ihren Eltern dort gewesen war. Setzen wir mal voraus, Jan könne nicht gut schwimmen und Sonja mache sich nicht viel aus Radfahren, weshalb sie viel spazieren gingen. Hier sind sie, Hand in Hand und jung, an irgendeinem kleinen Ort an der deutschen Küste. Wenn das hier ein Film wäre, dann müsste man sich nun als perfekte Hintergrundmusik wohl irgendeinen amtlichen Pop-Song von einer gewissen sommerlichen Leichtigkeit dazu denken; nicht zu seicht und nicht zu anspruchsvoll.
Sonja hat erst seit kurzem den Führerschein und mit ihrem Kindergeld den alten R4 mit Revolverschaltung bei ihrem Vater abgestottert. Sie sind jetzt ein halbes Jahr zusammen, und die Schulzeit ist vorbei. Nach dem Abi wollte Sonja eigentlich Chemie studieren, aber der Umstand, dass sie auf einem Auge nur geringe Sehkraft hat, stand dem im Wege. Sie hat das erst seit kurzem verarbeitet und sieht nun ihrer stattdessen eilig gewählten Ausbildung neutral entgegen. Jan wird nach dem Urlaub seinen Zivildienst antreten.
Beide gelten als ruhig und vernünftig, als reif für ihr Alter. Sie sind keine Partygänger und hängen nicht rum. In der Schule sind sie nicht die Besten, aber auch nicht renitent oder faul. Sie haben Fichtes dialektischen Dreischritt gelernt. These – Antithese – Synthese, haben gelernt, dass alles relativ ist und am Standpunkt des Betrachters hängt.
»Lass uns wegfahren!«, sagt Sonja, und Jan sagt: »Okay!«
Jan ist erst ein Mal, vor Jahren, mit seinen Eltern weggefahren, an die Mosel, ansonsten hat es keinen Urlaub gegeben. Ganz wie sie es von ihrem Vater kennt, setzt sich Sonja eines Mittags mit dem Autoatlas hin und plant die Strecke. Sie bevorzugt Landstraßen, ohnehin hätte es keine sinnvolle Autobahnverbindung ans Meer gegeben. Jan beugt sich mit ihr über die Karten, ohne je gelernt zu haben, diese zu lesen. Er hat keine gute Orientierung, ist nie viel herum gekommen. Selbst in seiner Umgebung kann es vorkommen, dass er Orte nicht kennt. So wie den Ort, an dem er jetzt sein Abitur gemacht hat. Nach einer kurzen Zeit an einer Kunstschule, die er selbst beendet hatte, hatte es nur wenige Gymnasien gegeben, die ihn mitten im Jahr aufnehmen wollten. Er fand allerdings mit seinen Eltern ein Aufbaugymnasium in U., das dazu bereit gewesen war. Er war nie zuvor in U. gewesen, obwohl es nur 12 Kilometer entfernt liegt. Da keine andere Wahl blieb, war er also Schüler in U. geworden. Eigentlich fühlte er sich zu dieser Zeit das erste Mal als vollwertiger Schüler, da er jetzt mit dem Bus zur Schule fuhr, während vorher alle seine Schulen so nah an seinem Zuhause gelegen hatten, dass er laufen konnte.
Nach der Abifeier machen sie sich auf den Weg. Jan ist ein guter Beifahrer. Er steckt Sonja Bonbons in den Mund, reicht ihr zu trinken, ohne, dass sie das Steuer loslassen muss. Er macht das Fenster auf und wieder zu. Er vergleicht Sonjas markierte Route mit den Schildern am Straßenrand. Schon im Münsterland läuft der Motor heiß, und sie halten an einer Tankstelle mit kleiner KF