Nicht mehr die Eiseskälte ist es, sondern Todesangst, die mich in unserem Erdloch erstarren lässt. Eingehüllt in einen grauen Filzmantel, den weißen Kopfschützer über den Stahlhelm gezogen, stehe ich mit den schweren Marschstiefeln im Dreck und schaue aus der Grube.
Mein Herz rast, ich hyperventiliere unter dem bis zur Nasenwurzel hochgezogenen Wollschal. Der Grund für meine Panik ist der Panzer, der etwa 150 Meter entfernt von mir schräg auf einer Anhöhe im Schnee steckt. Ich habe ihn im Gefechtsrabatz zu spät bemerkt. Ein sowjetischer T-34, der seine 76-Millimeter-Kanone direkt auf mich ausrichtet. Wie gebannt starre ich in die Mündung. Warum haben unsere Spähwagen den Panzer nicht aufgespürt? Wie ist er durchgekommen, und wieso zielt er auf unser heute Morgen eilig ausgehobenes Verwundetennest? Wir haben vorschriftsmäßig und deutlich sichtbar die Rotkreuzflagge aufgestellt, die nicht nur den Verwundeten und Sanitätsleuten der eigenen Truppen den Weg weisen, sondern auch den Feind dazu anhalten soll, hier nicht rumzukoffern. Verdammter Krieg!
Ich kann mir nicht erklären, warum ich beim Anblick des grünen Stahlbiestes an Mutter denke und in Gedanken nach einem passenden Gebet suche, statt mich einfach wegzuducken. Ich weiß jetzt, der Panzer wird schießen, Verwundetennest hin oder her.
»Was ist?!« Wilhelm, der unter mir im Graben kniet, verhindert mit seinem Geschrei meine frühzeitige Verabschiedung aus dieser Schlacht. Ich lasse mich nach hinten fallen und lande mit dem Gesäß auf einem Haufen aus gefrorenem Schnee. Als ich den Kopf zur Seite drehe, bemerke ich, wie sich mein Arzt über den jungen Soldaten beugt, der eben blutüberströmt und angstverzerrt in die Grube gesprungen ist. Ich kenne ihn nicht. Vermutlich ist er ganz frisch an der Front, im ersten Gefecht. Aus Angst wird schnell Leichtsinn. Wilhelm pumpt mit den Händen, die in dicken Fingerhandschuhen stecken, gegen den Brustkorb des Gefreiten, dem mit jedem Druck Blut aus dem Mund sprudelt. »Hilf mir hier! Der verreckt uns!«
Ich vergrabe den Kopf in meinen Armbeugen und schreie, so laut ich kann: »Achtung! Panzer!«
»Was?«
Im selben Moment höre ich einen gewaltigen Knall, der den Boden unter mir zum Vibrieren bringt. Als ich die Augen öffne, erkenne ich, dass der Unterschlupf unversehrt ist. Rauchschwaden ziehen über uns hinweg. Der Iwan hat nicht getroffen, weit verfehlt. Jemand schreit, flucht auf Russisch: »Sukiny deti, faschisty!«
Ich weiß, was passiert ist. Unser Flak-Zug ist nachgerückt, und eine Granate muss den Panzer in letzter Sekunde erwischt haben. Ein russischer Soldat hat es aus dem Kettenfahrzeug geschafft und läuft auf uns zu. Während ich aufspringe, löse ich das Halfter des Pistolengurtes, nehme die Luger in die Hand, hebe sie über meinen Helm. Ich entsichere die Waffe und feuere aus dem Loch, ohne etwas anzuvisieren. Aber genau in die Richtung, in der ich den Panzer bemerkt