»Ich glaube, es ist jemand im Haus, Signorina Giacobini. Ich habe ein Geräusch an der Tür gehört, wage es aber nicht, nachzusehen.«
»Professor Altero?« Florinda Giacobini sprach genauso leise, wie der Anrufer, der sie soeben aus dem Bett geklingelt hatte. »Sind Sie es, Professor?«
»Ja, ich bin es«, flüsterte es aus dem Hörer. »Es ist soweit. Sie kommt mich holen. Ich fühle den Tod nahen.«
Florinda redete jetzt lauter. »Wenn Sie in Gefahr sind, dann müssen wir die Polizei verständigen, legen Sie auf, dann werde ich das sofort erledigen.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte heiser. »Polizei? Was sollte die mir nützen, kleine Signorina? Sie und ich, wir wissen doch beide, daß mit menschlichen Kräften nichts gegen diese Bedrohung auszurichten ist.«
Florinda wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Der Professor hatte ja recht. Bisher war niemand der Rache der Göttin Lakshmi entkommen.
Giorgio Ferrara war der erste gewesen. Ihn hatte sie gleich an Ort und Stelle getötet.
Dann waren nacheinander die Brüder Bonacelli gefolgt.
Zuletzt hatte es auch den reichen Geschäftsmann Carlo Morricone erwischt, obwohl der sich hinter den dicken Mauern seiner Villa sicher gefühlt hatte.
»Ich bin der fünfte«, sagte der Professor, als ob er die Gedanken der jungen Frau erraten hätte. »Dann sind Sie an der Reihe, Signorina Giacobini. Versuchen Sie erst gar nicht, Ihrem Schicksal zu entrinnen. Es ist uns prophezeit worden, daß es sechsmal zuschlägt – und so wird es auch geschehen. Machen Sie es wie ich. Bleiben Sie daheim, und erwarten Sie den Tod.«
»Aber man kann doch nicht einfach still dasitzen und abwarten«, widersprach ihm seine schöne Assistentin. »Sie müssen sich wehren, Professor! Soll ich zu Ihnen kommen?«
»Zu spät«, antwortete der fast siebzigjährige Mann gelassen und in normaler Lautstärke. »Die Tür zu meinem Zimmer öffnet sich. Es ist aus…«
Ein Klicken in der Leitung verriet, daß der Anrufer aufgelegt hatte.
Hastig streifte sich Florinda ein Kleid und ein paar Schuhe über. Dann eilte sie aus dem Haus und lief zum gegenüberliegenden Taxistand.
»Via del Teatro die Marcello«, sagte sie, nachdem sie auf dem Rücksitz Platz genommen hatte. »Bitte beeilen Sie sich.«
Der Wagen setzte sich sofort in Bewegung.
»Welche Hausnummer?« wollte der Mann hinter dem Steuer wissen.
»Dreizehn«, antwortete Florinda Giacobini. »Es ist ein altes Haus mit einem Wildgarten davor.«
»Kenne ich«, meinte der Fahrer. »Gehört das nicht dem verrückten Professor?«
»Wenn Sie von Professor Fortunato Altero sprechen, dann haben Sie vollkommen recht«, erwiderte sie gereizt. »Allerdings bezweifle ich, daß Ihnen ein Urteil darüber zusteht, ob er verrückt ist oder nicht. Ich kenne ihn sehr gut. Er besitzt mehr Verstand als die meisten hier in der Stadt.«
»Möglich, dennoch ist der alte Knabe nach meiner Ansicht nicht ganz richtig im Kopf«, redete der Chauffeur unbeirrt weiter. »Ich habe schon mehrfach Zeitungsartikel über ihn gelesen. Er ist dauernd irgendwo in fernen Ländern unterwegs, um sich uralte Kunstschätze anzuschauen. Ich finde, wer sich zu sehr mit der Vergangenheit der Menschheit befaßt, geht an der Gegenwart, also am wahren Leben vorbei.«
Florinda ärgerte sich über die Impertinenz des geschwätzigen Mannes.
»Was ist denn für Sie ›das wahre Leben‹?« fragte sie mit ironischem Unterton. »Hier in Rom zu bleiben und Taxi zu fahren?«
»Es gibt auch eine Menge anderer Dinge, die man in Rom tun kann«, antwortete der Fahrer, ohne sich im geringsten beleidigt zu fühlen. »Oder in Neapel, Venedig, Florenz. Italien ist das schönste Land der Welt. Wenn der Professor es schon nicht lassen kann, in Ruinen nach Götzenstatuen, Scherben von alten Vasen oder verrosteten Schwertern und Helmen zu suchen – warum tut er es dann nicht hierzulande?«
Diesem ausgeprägten Patriotismus hatte Florinda nichts mehr entgegenzusetzen. Daher zog sie es vor, zu schweigen.
Auch der Fahrer blieb nun stumm und begnügte sich damit, seinen hübschen Fahrgast durch den Rückspiegel zu betrachten.
Was er sah, gefiel ihm über alle Maßen. Florinda Giacobini traf genau seinen Geschmack.
Sie war schlank, fast zierlich, hatte eine sportliche Figur, die von ihrem eng anliegenden Kleid betont wurde. Ihr kurzes Haar war hellblond und paßte gut zu dem goldenen Ohrring, den sie stets im linken Ohr trug und der so blankpoliert war, daß er beim geringsten Lichteinfall funkelte und glitzerte.
Das schöne Schmuckstück