: Lisa Maria Völkerding
: Gregor Thüsing, Jacob Joussen
: Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG
: Lambertus Verlag
: 9783784134192
: Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht
: 1
: CHF 42,40
:
: Arbeits-, Sozialrecht
: German
: 474
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die evangelische Kirche zählt zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Aus dem Anwendungsbereich des staatlichen Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechts ist sie allerdings de lege lata herausgenommen. Das von ihr selbst gesetzte und durch eine eigene Arbeitsgerichtsbarkeit kontrollierte Mitarbeitervertretungsrecht sieht allerdings nur einen 'unvollkommenen Rechtsschutz' vor; denn die zwangsweise Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen, also ein substantieller Rechtsschutz, wird durch das MVG.EKD selbst, aber auch durch das staatliche Gewaltmonopol ausgeschlossen. Der kirchenrechtlich gewährte Rechtsschutz wird daher - insbesondere von der Mitarbeiterschaft - als Rechtsschutz 'zweiter Klasse' empfunden. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob ein substantieller Rechtsschutz trotz des kirchlichen/christlichen Selbstverständnisses und des staatlichen Gewaltmonopols nicht nur möglich, sondern aus rechtsstaatlichen und europarechtlichen Gründen sogar geboten ist. Ausführlich wird erörtert auf welche Weise im Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche unter Einbeziehung der staatlichen Gerichte ein umfassender Rechtsschutz gewährleistet werden kann, ohne dass dabei in das der Kirche von der Verfassung eingeräumte Selbstbestimmungsrecht eingegriffen wird.

Lisa Maria Völkerding (geb. Förster) wurde 1991 in Bremen geboren. Nach dem Abitur im Jahr 2010 studierte sie bis zum Oktober 2015 Rechtswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit arbeitsrechtlichem Schwerpunkt. Das Referendariat absolvierte sie von März 2016 bis April 2018 im OLG-Bezirk Düsseldorf mit Wahlstation am Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Von Mai 2018 bis August 2019 war sie als Juristische Mitarbeiterin in der Arbeitsrechtsabteilung einer internationalen Wirtschaftskanzlei tätig. Ihr Promotionsvorhaben wurde von Mai 2019 bis September 2020 durch ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert. Seit Oktober 2020 ist sie als Rechtsanwältin bei CMS Hasche Sigle in Düsseldorf auf dem Gebiet des Arbeitsrechts tätig.

§ 1 Einleitung


A.  Thematische Hinführung und Problemaufriss


Das Wort „Integration“ entspringt dem lateinischen Begriff„integratio“, mittels dessen der Vorgang des „Vollwerdens“, des „Ganzwerdens“ oder der „Erneuerung“ ausgedrückt wird.1

Der vom BVerfG verwendete Begriff der „Integrationsfestigkeit“2 bezeichnet das Gegenteil: Das BVerfG vertritt die Auffassung, die Öffnung des Grundgesetzes zugunsten des europäischen Rechts unterliege Grenzen, die ein „Voll- und Ganzwerden“ der Bundesrepublik mit Europa ausschließen würden.3 Obwohl die vom BVerfG aufgezeigten Grenzen gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG im „Europaartikel“4 selbst angelegt sind, ist diese Rechtsprechung dem teils heftig formulierten Vorwurf ausgesetzt, den „Integrationsauftrag“5 des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu verletzen.6

Dass dem „kirchlichen Arbeitsrecht“7 eines Tages eine besondere Rolle im Zusammenhang mit der Frage des Verhältnisses des deutschen (Religions-) Verfassungsrechts und des Primats des Unionsrechts zukommen könnte, wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur im Zusammenhang mit der Einführung der RL 2000/78/EG frühzeitig erkannt.8 Bereits im Jahr 1985 hatte das BVerfG imStern-Urteil entschieden, dass Kündigungsentscheidungen kirchlicher Arbeitgeber aufgrund von Verstößen gegen kirchliche Loyalitätsanforderungen durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV vor einer umfassenden arbeitsgerichtlichen Kontrolle geschützt sind.9 Diesen Grundsatz hat das Gericht 2014 imChefarzt-Urteil gerade in Bezug auf konfessionell differenzierende Loyalitätsanforderungen mit Nachdruck bekräftigt.10 Über 30 Jahre lang wurde das Prinzip der eingeschränkten arbeitsgerichtlichen Überprüfbarkeit von Kündigungsentscheidungen der häufig als „zweitgrößter Arbeitgeber“11 der Bundesrepublik bezeichneten Kirchen von den Institutionen der EU nicht angetastet.

Im Jahr 2018 entschied der EuGH dann gleich zweimal über den Umfang der gerichtlichen Prüfung von Entscheidungen kirchlicher Arbeitgeber. Das eine Mal ging es um die Konfessionszugehörigkeit als Tätigkeitsvoraussetzung im Dienst der evangelischen Diakonie (Egenberger12) und das andere Mal um die Kündigung aufgrund der Eingehung einer nach katholischem Kirchenrecht ungültigen Ehe (IR13). Die Anwendung der europäischen RL 2000/78/EG14 verlangt nach Auffassung d