: Anne von Canal, Heikko Deutschmann
: I get a bird
: mareverlag
: 9783866483972
: 1
: CHF 11.30
:
: Erzählende Literatur
: German
: 272
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eines Tages erhält Jana, Zukunftsforscherin aus Freiburg, ein Paket von einem ihr unbekannten Mann. Der Busfahrer Johan schickt ihr einen Kalender zurück, den sie in einer Telefonzelle in Neumünster vergessen hat. Es entspinnt sich die intensive Korrespondenz zweier Fremder. Während Johan der verlorene Kontakt zu seiner Tochter aus der Bahn geworfen hat, reißt sein Paket bei Jana ebenfalls alte Wunden auf. Bald finden die Schreibenden heraus, dass ihre Biografien nicht nur ungeahnte Parallelen haben, sondern auch eine ganz konkrete Überschneidung in der Vergangenheit. Könnte ihnen das die Chance eröffnen, sich mit dem Schicksal zu versöhnen? Zwei Jahre lang schrieben sich Anne von Canal und Heikko Deutschmann als Jana und Johan - ohne je etwas anderes abzusprechen als den Anfang: Der eine findet etwas, was die andere verloren hat. Alles Weitere überließen sie den Figuren und der Zeit. Entstanden ist ein wendungsreicher, zuweilen komischer, vor allem aber zutiefst berührender Briefwechsel.

Anne von Canal, geboren 1973, ist Autorin und Übersetzerin. Ihre schriftstellerische Arbeit wurde mit einem Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds und zahlreichen internationalen Aufenthaltsstipendien ausgezeichnet. Heikko Deutschmann, geboren 1962 in Innsbruck, lebt als Schauspieler, Autor und Filmemacher in Berlin. Seiner Leidenschaft fürs Lesen und Vorlesen verdanken sich zahlreiche preisgekrönte Hörbücher.

Freiburg, den 18. 10. 2018

Sehr geehrter Johan Zweipfennig,

sind Sie noch da?

Dachten Sie, ich melde mich nicht?

Natürlich sind Sie noch da. Niemand ruft in den Wald, ohne zumindest ein kleines Echo zu erwarten, auch wenn Sie so wortreich das Gegenteil behaupten.

(Wahrscheinlich sitzen Sie in Ihrer Küche, in der jetzt nicht mehr viel übrig ist, außer ein paar Stühlen und einem Tisch, und sind damit zufriedener als mit allen Möbeln, die dort je Ihr Leben bevölkert, aber nicht belebt haben. Sie sitzen dort und hören den Briefträger im Treppenhaus. Seine Schritte, seinen Schlüsselbund. Das Klappern der Kästen, viele klappern, aber man kann sie kaum unterscheiden. Und dann bleiben Sie noch eine Stunde sitzen, ehe Sie die Wohnung verlassen, einen langen Spaziergang machen und erst auf dem Rückweg im Vorbeigehen – und natürlich aus reiner Routine – in den Kasten schauen, weil Sie selbst vor sich nicht in den Verdacht geraten wollen, Sie würden auf Post oder irgendetwas warten.)

Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich Ihnen überhaupt schreiben soll.

Eigentlich ändert es ja nichts, dachte ich. Nicht für Sie und nicht für mich. Aber vielleicht ja doch.

So, wie Sie in Ihrem Brief erwirken wollten, dass ich in meinem Leben Raum und Zeit erübrige für Ihr schlechtes Gewissen und Ihre Bitte um Entschuldigung (ist angekommen und gewährt, auch wenn Sie nur drum rumgeredet haben. Absolution erteilt. Amen!), müssen Sie jetzt eben meine Sicht der Dinge ertragen.

Ich weiß, Gefühle sind nicht so Ihr Ding, sorry, aber dann hätten Sie meinen Kalender besser mitsamt dem Sofa, der Stereoanlage und den leeren Bilderrahmen in den Müll geworfen.

Wissen Sie, ich habe geheult vor Zorn und Verzweiflung, damals, als ich dumm,so saudumm, meine Agenda in dieser verdammten Telefonzelle in der Wendeschleife vergessen hatte. Und wieder, als Sie sie mir zurück in mein Leben geschickt haben. Und zwischendrin auch.

Ich war so bis ins kleins