: Ralf Raabe, Sabine D. Jacob, P.C. Thomas, Adrian Paddags, Monika Grasl, M.C. Born, Andreas Faber, Ya
: Bettina Ickelsheimer-Förster
: Hale-Bopp Im Bann des Kometen
: Shadodex-Verlag der Schatten
: 9783985280025
: 1
: CHF 3.00
:
: Anthologien
: German
: 348
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kometen! Sie galten als böse Omen, als himmlische Vorboten irdischen Übels. Aber nicht nur früher löste das Auftauchen eines Kometen Angst und Schrecken bei den Menschen aus. 1996/97 weckte ein außergewöhnliches Objekt am Nachthimmel die Aufmerksamkeit der Menschen und veranlasste sie dazu, den Blick nach oben zu richten. Es war der Komet Hale-Bopp (C/1995 O1). Ungewöhnlich war sein dünner Natriumschweif, der ihn zu etwas Besonderem machte. Doch gerade dieser Natriumschweif hat zwischen dem 20. Mai 1996 und dem 9. Dezember 1997 - 569 Tage lang - immer wieder Ungewöhnliches bewirkt. Kleine Ereignisse, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren hat, weil die Betroffenen geschwiegen haben. Begebenheiten mit weitreichenden Folgen, die jedoch unter Verschluss gehalten wurden ... Bis heute, denn wir haben diese Geschichten aus der Dunkelheit ans Licht gezerrt. Wir lüften den Schleier, den die Vergangenheit über diese Geheimnisse gelegt hat.

 

Im Schweif des Kometen


© Ralf Raabe


 

 

Et numquam coelo spectatum impune cometen.

Und niemals ist am Himmel ungestraft ein Komet gesehen worden.

Claudian (370 bis 404 n. Chr.)

 

Ich hatte Giles seit dem Studium nicht mehr gesehen, und wir standen uns auch damals nicht besonders nahe. Einmal lud er mich auf das Gut seiner Eltern ein zu einer Fuchsjagd, an die ich mich aus verschiedenen Gründen lieber nicht erinnern möchte.

In Oxford jedenfalls sah man ihn häufiger in den Pubs als in der College-Bibliothek. Sein Vater überwies ihm allmonatlich ein hübsches Sümmchen, und so bildete Giles das Zentralgestirn einer Gruppe von Erstsemestern, die auf seine Kosten freitags bereits betrunken waren, noch ehe die Glocken von St. Mary neun Uhr geschlagen hatten.

Da ich selbst nicht mit einem reichen Elternhaus gesegnet war und dazu mit einem saftigen Studienkredit in der Kreide stand, mied ich jenen Kreis und steckte meine Nase in die Bücher, um mich auf die Examen vorzubereiten.

Seitdem waren rund zwanzig Jahre vergangen, und ich war nicht wenig überrascht, als mich eines Abends sein Anruf im Hotel erreichte. Zu jener Zeit hielt ich mich in London auf, um mit meinem Verleger über den neuen Roman zu sprechen. Giles hatte von Emma, einer gemeinsamen Bekannten, die mir die Flüge bucht, von meiner Anwesenheit erfahren. Er sei wegen einer Erbschaft in der Stadt und würde mich gern sehen, um mir eine – wie er sich ausdrückte – merkwürdige Geschichte zu erzählen.

Mir fiel keine glaubwürdige Ausrede ein, und so verabredeten wir uns in einem indischen Restaurant in der Nähe des Britischen Museums. Bei meinem Eintreffen wartete Giles bereits auf mich. Er strahlte über das ganze Gesicht und schien sich aufrichtig zu freuen, mich zu sehen. Als er sich erhob, um mich zu begrüßen, konnte ich mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Auch an ihm waren die Jahre nicht spurlos vorübergegangen: Er hatte einige Pfunde zugelegt, und die akkurat gescheitelten blonden Haare lichteten sich.

Ein pakistanischer Kellner brachte die Speisekarten, und wir sprachen kurz über meine Arbeit. Giles wusste von meiner Kündigung bei der Zeitung und dass ich einige Romane veröffentlicht hatte; doch in seiner entwaffnenden Art machte er keinen Hehl daraus, keines meiner Bücher gelesen zu haben.

Dann berichtete er mir von sich, wie es ihm nach dem Tod seines Vaters gelungen war, das Gestüt vor dem Ruin zu retten.Trotz seines launigen Tons hörte ich heraus, wie schwer diese Jahre für ihn, dem im Lebenallesgeschenkt worden war, gewesen sein mussten. Das Gespräch glitt hinüber zu Bekannten aus Studientagen, was aus ihnen geworden war, wer wen geheiratet hatte und wo sie nach der Scheidung lebten.

Ein Schweigen trat ein, nachdem der Kellner die Vorspeisenteller abgeräumt hatte, nur unterbrochen vom Geschirrgeklapper und Gemurmel der anderen Gäste. Allmählich begriff ich, dass er den wahren Grund unserer Verabredung zu vermeiden suchte.

Jetzt wurde ich neugierig. »Wir sind nicht hier«, wagte ich mich vor, »um Erinnerungen aufzufrischen, oder?«

Er trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem Tischtuch und sah mich prüfend an, bevor er zu sprechen begann. »Mein Vater hatte einen Bruder. Onkel Charles war unverheiratet und galt als – nun, sagen wir – ein wenig wunderlich. Die beiden hatten schon vor meiner Geburt miteinander gebrochen.« Er schwieg einen Moment.

»Eine Frau?«, ve