Die Abendsonne fiel golden durch die hohen, von Bleiverstrebungen unterbrochenen Glasfenster auf den kostbaren, mit verschiedenen Hölzern in unterschiedlichen Farben eingelegten Parkettfußboden. Sein Rokokomuster wiederholte sich in dem zarten Stuck, der sich an der Decke entlangzog und dessen rosige, weiße und goldene Blüten sich in den prächtigen Brokatvorhängen vielfarbig fortsetzten. Das Kristall des Maria-Theresia-Lüsters funkelte wie Diamant. Die zierliche Rokokositzgruppe, mit Seidendamast bespannt, stand auf einem farblich vollkommen abgestimmten Aubussinteppich. Die Blumenarrangements auf Konsolen vor den beiden venezianischen Spiegeln passten sich der vollkommenen Harmonie des Raumes an.
Gräfin Eleonore von Grottenburg seufzte tief. Wie oft hatte sie heute – und in den letzten Tagen – schon so tief geseufzt? Bei ihrem sonst sehr ausgeprägten Sinn für Humor hätte sie unter anderen Umständen wohl darüber gelacht. Aber dieses Mal entlockte der Gedanke daran ihr nur einen weiteren abgrundtiefen Seufzer.
Sie hatte bewusst diesen Raum mit seiner bezaubernden und vollkommenen Leichtigkeit für die Besprechung mit ihrer Enkelin gewählt. Sie hoffte, dass diese Umgebung das junge Mädchen alles in einem optimistischen und heiteren Licht sehen ließ. Denn sie war ja noch so unglaublich jung – ihre hinreißend schöne Mariella! Neunzehn Jahre jung. Gerade hatte sie mit Erfolg das Abitur an einem exklusiven, von Klosterfrauen geleiteten Schweizer Gymnasium bestanden. Sie hatte das Reifezeugnis in der Tasche.
War sie auch reif genug, um zu verstehen und zu akzeptieren, was ihre Großmutter ihr heute eröffnen würde? – Eröffnen musste! Denn wenn sie jetzt in die Gesellschaft eingeführt wurde, konnte man mit Sicherheit annehmen, dass jemand anderer sie darauf ansprach – und möglicherweise nicht so vorsichtig, überlegt und taktvoll, wie sie es zu tun versuchen würde.
Lieber Gott, lass mich die richtigen Worte finden, schickte die Gräfin ein Stoßgebet zum Himmel, während sie unbewusst die Falten der Vorhänge ordnete.
Auch mit ihren fünfundsiebzig Jahren war Gräfin Eleonore noch eine schöne Frau. Mittelgroß, sehr schlank, mit weißem leicht gewelltem Haar, das schmeichelnd ihr blasses, dezent und geschickt geschminktes Gesicht umgab, wirkte sie durch ihre raschen und leichten Bewegungen zumeist jünger, als sie tatsächlich war. Sie trug einen schmalen hellgrauen Rock, dazu eine Seidenbluse mit hohen Kragen und einer Schleife, die, in sich gemustert, zwei Schattierungen dunkler war, Pumps mit mittelhohem Absatz und zartgraue Strümpfe. An den Händen hatte sie zwei Ringe mit je einer grauen und einer weißen Perle, sowie an der Linken den Siegelring mit dem Wappen der Grottenburgs. Eine doppelte Kette mit erbsengroßen Perlen und passende Boutons ließen ihre Aufmachung sehr formell erscheinen. Passend für den Anlass, fand Gräfin Eleonore.
Jetzt hörte sie draußen die leichten Schritte Mariellas und zuckte unwillkürlich zusammen. Haltung, ermahnte sie sich selbst. Und als ihre Enkelin nun mit jugendlichem Ungestüm die Tür aufriss und das Zimmer betrat, lächelte sie sie liebevoll an und streckte ihr beide Hände zum Willkommensgruß entgegen.
»Großmama! So förmlich! Entschuldige, ich wusste nicht …« Mariella beugte sich zum Kuss über die Hände ihrer Großmutter, ehe sie von ihr auf die Wangen geküsst wurde.
Eleonore betrachtete sie mit liebevollem Stolz. Mariella war etwas größer als sie, schlank und hatte eine Figur, um die jedes Topmodel sie beneiden konnte. Da war nichts zu mager oder eckig, ihre Beine waren schlichtweg traumhaft – was der Mini-Minirock keineswegs verbarg, ihre Hände waren das, was man aristokratisch nennt, und ihr Gesicht – war einfach bezaubernd. Ihr langes Haar war tizianblond, fast wie helles Kupfer, das schmale, leicht gebräunte Gesicht mit seinen regelmäßigen Zügen schien gleichfalls von diesem Maler entworfen zu sein. Die Nase war fein geschnitten, die Augen unter den goldenen Brauen von einem tiefen Veilchenblau, das, wenn sie sich ärgerte, fast schwarz wirkte. Die langen, schön geschwungenen Wimpern hatte sie dunkelblau getuscht – mehr Schminke hatte sie nicht nötig.
Und ihr Mund – fast hätte Gräfin Eleonore wieder geseufzt – sogar eine alte Dame wie sie, die dergleichen schon fast – fast! – vergessen hatte, konnte sich nur gut vorstellen, was junge und auch ältere Männer beim Anblick dieses Mundes empfanden …
»Warum schaust du mich so an, Großmama? Es tut mir wirklich leid – wenn ich gewusst hätte – ich hätte mich umgezogen. Soll ich …?«
»Unsinn, Kind. Ich weiß nur immer noch nicht, wie ich anfangen soll.«
»Anfangen? Ist etwas passiert?«, fragte Mariella und bekam große, erschrockene Augen.
Eleonore lachte kurz auf. Ihr Humor kam ihr zur Hilfe. »Tja. Es ist et