Liya
Meine Mutter war total verrückt nach WhatsApp. Chatten konnte sie zwar nicht, aber alle anderen Funktionen der App hatte sie drauf. So konnte sie mir auch ein halbes Dutzend Bilder von dem Kerl schicken, den sie und mein Vater für mich auserwählt hatten. Genau genommen war er der Einzige, der überhaupt bereit gewesen war, mich kennenzulernen. Und fairerweise muss man sagen, dass das allein schon ein Triumph war. Er wusste wohl nicht, mit wem er es zu tun bekommen würde.
Nun waren meine Eltern überzeugt, dass er der Richtige sein musste, weil er eben nicht wie die anderen bei der leisesten Erwähnung des Namens Liya Thakkar sofort abgehauen war.
Ich hatte nicht das geringste Interesse daran, meinen Vater eine Ehe für mich arrangieren zu lassen. Meine Freundinnen waren letztendlich mit ihren Partnern sehr zufrieden, aber ich wollte mich dieser veralteten Tradition einfach nicht beugen. Ich wollte überhaupt nicht heiraten. Feste Bindungen jeglicher Art waren einfach nichts für mich. Nur über meine Leiche.
Wenn ich Lust hätte, für den Rest meines Lebens einem Mann hörig zu sein, könnte ich genauso gut bei meinem Vater bleiben. In einer Kultur, in der man in seinen Zwanzigern ständig von strengenAunties behelligt wird, die sich als Kupplerinnen aufspielen, musste ich mich der widerlichen Vorstellung einer lebenslangen festen Bindung widersetzen.
Wenn man vom Teufel spricht – in diesem Falle dem, dessen Lenden ich entsprungen war: Dads Name blinkte auf meinem Handydisplay auf. Zum zwanzigsten Mal in dieser Woche schaltete ich daraufhin auf stumm. Er wollte mich doch sowieso nur wieder dazu nötigen, diesen so sorgsam ausgewählten Verehrer kennenzulernen. Wie er schon in mehreren Sprachnachrichten betont hatte, legte er sich schließlich seit bereits fünf Jahren ins Zeug, um einen geeigneten Mann aufzutreiben, bei dem ich mit meinem Ruf und auch sonst überhaupt eine Chance hatte. Wir müssten uns den Kerl schnell schnappen, bevor ihm eine andere Frau schöne Augen machen könnte. Von mir aus durfte sie ihn gern geschenkt haben. Eine Sorge weniger für mich!
Doch dann kam der Abend, an dem ich bei meinen Eltern eingeladen war. Momma hatte mir ein ganz normales Abendessen versprochen, nur für uns drei, nichts Besonderes.
Auf meiner Fahrt zu ihrem Haus im Houstoner Vorort The Woodlands blickte ich in den Rückspiegel meines grauen Lexus. Das Auto hatte ich mir gegönnt, um mir immer wieder vor Augen führen zu können, wie weit ich es im Leben schon gebracht hatte. Zum Beispiel war ich gerade erst befördert worden. Außerdem war der Wagen ein Symbol für meine Unabhängigkeit von Männern.
Obwohl die Sonne schien, überschattete das Blattwerk der hoch aufragenden Bäume fast jeden Zentimeter der bezaubernden Straße, in der meine Eltern wohnten. Beim Bau der Siedlung vor vielen Jahren hatte der Bauunternehmer auf ein Konzept aus ziemlich moderner Architektur im Grünen gesetzt und deswegen darauf bestanden, so wenige Bäume wie möglich zu fällen.
Obwohl mir als Kind das Zusammenleben mit meinen Eltern nicht immer gefallen hatte, liebte ich diese Nachbarschaft. Plötzlich packte mich die Nostalgie und versetzte mich zurück in jene Zeit, in der ich vormittags mit den anderen Kindern herumgetobt hatte – Wind im Haar, Zedern- und Zypressenduft und kichernde Mädchen.
Ich schwelgte gern in der Vergangenheit. Die Gegenwart sah anders aus. Das sah man schon daran, dass ich mein Auto auf der breiten Straße parkte, die mir die beste Fluchtmöglichkeit bot. Warum? Weil ich mit meinem Dad nicht zurechtkam. Ich schnaufte tief durch und besann mich darauf, dass ich heute nur wegen Momma gekommen war. Sie war der Ruhepol, die Fürsorgliche, die einzige Person in meiner Familie, deren Gesellschaft etwas taugte, und der Ursprung meiner bedingungslosen Liebe.
Der Weg über die Kiesel auf der betonierten Einfahrt war viel zu kurz. Blätter knirschten unter meinen braunen Prada-Bikerboots und die Luft war irgendwie eisig, wie eine unheilvolle Mahnung zum Umkehren.
Fröstelnd zog ich den Schal um meinen Hals enger und klopfte an die frisch polierte Eichenholztür, die sogleich schwungvoll von Momma aufgerissen wurde. Obwohl mir die Frau kaum bis ans Kinn reichte, umarmte sie stürmisch meine Sch