1. KAPITEL
Amelia lief keuchend zwischen den Bäumen hindurch und achtete nicht auf die Zweige, die ihr ins Gesicht schlugen, oder auf das Gestrüpp, das sich in ihrem Rock verfing. Sie war erschöpft, ihre Lungen brannten, jeder Schritt war eine Qual, doch sie lief weiter. Als sie einen Blick über die Schulter wagte, stolperte sie, ihr Fuß knickte zur Seite, aber sie fing sich im letzten Moment und blieb auf den Beinen.
Ein lauter Donnerschlag grollte scheinbar genau über ihr, und kurz darauf zuckte ein blendend weißer Blitz über den Himmel. Amelia fühlte sich allen Blicken ausgeliefert, obwohl die Bäume sie verbargen, und war glücklich, als sich die Dunkelheit wieder über alles legte. Der Regen wurde stärker, große Tropfen klatschten Amelia auf die Haut, und nach nur wenigen Minuten war sie vollkommen durchnässt. Das Kleid hing schwer an ihr herab und fühlte sich bei jeder Bewegung an wie Sandpapier. Ganz gegen ihre Art wünschte Amelia sich diesmal, sie würde etwas Praktischeres, weniger Hübsches tragen, das sie aber in diesem fürchterlichen Klima wenigstens etwas gewärmt hätte.
Einen Augenblick lang hielt sie inne, um zu Atem zu kommen, und lauschte aufmerksam. Seit zwei Tagen irrte sie durch dieses gottverlassene Hügelland, ohne zu wissen, wo sie sicher sein und Unterschlupf finden könnte. Es war schon übel genug gewesen, als sie es lediglich mit Kälte und Wind zu tun gehabt hatte, doch inzwischen fürchtete Amelia, sie könnte hier in den Hügeln sterben.
Wenigstens lag das Dorf weit hinter ihr – das Dorf, von dem sie gehofft hatte, es würde ihr in dieser kalten Nacht Schutz bieten. Doch es war kein guter Einfall gewesen. Die erste Frau, die ihr blutbeflecktes Kleid und das wirre Haar gesehen hatte, hatte ihr zugerufen, sie solle sich fernhalten, und gleich darauf fast das ganze Dorf alarmiert. Amelia war nach einem letzten sehnsüchtigen Blick auf das gastfreundlich wirkende Wirtshaus hastig zu den verregneten Hügeln weitergeflohen.
Sie befürchtete, dass die Dorfbewohner ihr jemanden nachgeschickt hatten. Wahrscheinlich hatte man überall eine Zeichnung von ihrem Gesicht verteilt und ihr Verbrechen war inzwischen weit über die Grenzen des Kurorts Brighton hinaus bekannt, wo es verübt worden war. Ihr entfuhr ein Schluchzen, und sie fragte sich, wann alles angefangen hatte, so fürchterlich schiefzugehen. Einen Moment lang erlaubte sie sich, in Selbstmitleid zu schwelgen. So hatte