Bonhoeffer versucht in diesem Abschnitt das Denken in zwei Räumen – hier Kirche, dort Welt – zu überwinden, ohne ihre Unterschiedenheit aufzugeben. Dabei stand er vor der doppelten theologischen Herausforderung: Zum einen begründen zu müssen, warum es keinen Bereich der Welt gibt, der nicht der Herrschaft Jesu Christi untersteht, und zum anderen, warum Welt und christliche Gemeinde trotzdem zu unterscheiden sind. Die unauflösliche Zusammengehörigkeit zwischen Gott und Welt begründet Bonhoeffer christologisch mit der Schöpfungsmittlerschaft und der Menschwerdung Jesu Christi. Auch im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Gott und Welt argumentiert er streng von Christus her: Durch das Kreuz Jesu Christi hat Gott über die Welt, so wie sie ist, sein Nein gesprochen.
Wie die gleichzeitige Zusammengehörigkeit und Unterschiedenheit zwischen Gott und Welt im Alltag konkret gelebt werden kann, löst Bonhoeffer durch seine Mandatenlehre. Für jeden, der schon einmal am gregorianischen Psalmgesang teilgenommen hat, wird sich beim Begriff „Mandat“ die Erinnerung an „mandatum“ als Übersetzung für Gebot bzw. Gesetz Gottes im lateinischen Psalter einstellen. Ein Mandat ist weniger eine unpersönliche, feststehende Größe, ein Gesetz, als vielmehr ein persönliches Gebot Gottes im Blick auf das Handeln.
Die Mandatenlehre als Ganzes wie auch die einzelnen Mandate müssen konsequent vom christologischen Grundansatz der Theologie Bonhoeffers her verstanden werden. „Göttlich sind diese Mandate allerdings allein um ihrer ursprünglichen und endlichen Beziehung auf Christus willen“ (44/55f.). [Die erste Seitenzahl verweist hier und im Folgenden auf dieses Buch, die zweite auf DBW, Bd. 6.]Indem Bonhoeffer mit der Mandatenlehre begründet, wieso es keine Bereiche der Wirklichkeit gibt, die nicht der Herrschaft Jesu Christi unterstehen, befindet er sich im Einklang mit der zweiten These der „Barmer Theologischen Erklärung“ von 1934: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“
Bonhoeffer leitet vier Mandate aus der Bibel ab: Arbeit, Ehe, Obrigkeit, Kirche. Er modernisierte damit die Ständelehre Luthers, ohne sie aufzugeben. Ein erster Schritt zu dieser Modernisierung bestand darin, dass er den Nährstand, entsprechend der neuzeitlichen Trennung von Wohn- und Arbeitswelt, in die Mandate der Arbeit und Ehe aufteilte. Für Luther lag der Ursprung der Arbeit noch in der Ehe bzw. Familie als dem Mittelpunkt des wirtschaftenden Hauses (griechisch: oikos). Vor allem überführte Bonhoeffer die Mandate „aus der traditionellen lutherischen Ordnungs- und Stände-Lehre in den dynamischen Zusammenhang des geistlichen und weltlichen Regimentes Gottes in der Welt, sodass das auftraggebende Wort Gottes entscheidend ist, nicht der soziologische Bestand.“19 Di