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Entschuldige, sagte der Mann vor der Haustür, dem Sutter nach mehrfachem Klingeln geöffnet hatte, aber dein Telefon antwortet nie.
Das lernt es nicht, sagte Sutter.
Es gäbe Telefonbeantworter, sagte der Besucher.
Der Telefonbeantworter wäre ich, sagte Sutter.
Fritz pflegte sein Gesicht in schöner Selbstverspottung »tausendfältig« zu nennen, und seine auffällig blauen Augen strahlten nicht nur: sie schienen das Strahlen erfunden zu haben. Jetzt aber schleuderten sie Blitze, und die tausend Falten vibrierten, als stünde Fritz unter Strom. Er schluckte, und man konnte seinem ruckweise hüpfenden Kehlkopf ansehen, was er verschluckte: Emil, es reicht. Statt dessen sagte er wohlerzogen: Müssen wir vor der Tür reden?
Sie bleibt zu, sagte Sutter, sonst entwischt die Katze. Es scheint, sie kennt ihre eigene Wohnung nicht mehr. Sie bleibt ein paar Tage drin. Komm ums Haus, wir setzen uns in den Garten.
Sutters Haus war das letzte in einer Doppelkette von zwei mal elf sechseckigen Fünfzimmerhäusern, die, 1973 erbaut von Peter A. Schlaginhauf, nach seinem Willen POLYMER heißen sollten. Doch hatte die Behörde die Baubewilligung nur mit der Auflage erteilt, daß ein alter Flurname zu Ehren komme. So hieß die damals zukunftweisende Siedlung »Im Hummel«.
Inzwischen paßte die Bezeichnung auch besser zu ihr. Denn das genossenschaftliche Band, das die POLYMER-Zellen zusammengehalten hatte, war längst zerrissen. Der Suttersche Haushalt, schon zu Beginn nicht das verläßlichste Glied der Kette, hatte ihr südwestliches Ende gebildet. Und diese Randlage war die gleiche geblieben, als sich die Belegschaft der Siedlung in zwanzig Jahren verändert hatte, wenn auch nicht im Geist ihrer Gründer. Der geglättete Sichtbeton, damals ein Bekenntnismaterial, mußte sich jetzt jede mögliche Kaschierung gefallen lassen, denn er galt wieder als kalt und unmenschlich. Aus den Häusern mit Atelier-Charakter, die anzeigten, daß hier, wo nicht Künstler, so doch freiberufliche Gestalter ihres Lebens wohnten, waren durch Tüllgardinen, ondulierte Sonnenstoren und reichlich Geranienrot putzige Heimchen geworden, die – da ihnen der große Entwurf abhanden gekommen war – nur noch zu klein wirkten und mit ihrem allgegenwärtigen, jede Lücke stopfenden Zierat Platzangst verrieten.
Die Gründer ließen sich nur noch blicken, um als Vermieter nach dem Rechten zu sehen. So auch Fritz und Monika, die ihr Haus einem indischen Informatiker und seiner Familie überlassen hatten, nachdem sie als Leiterpaar an eine besonders schön gelegene Evangelische Tagungsstätte – anderswo hätte sie Akademie heißen dürfen – berufen worden waren. Den Künstler von Ballmoos hatte es mit seiner Frau Leonore im »Hummel« noch weniger lange gehalten. Die späten siebziger Jahre bescherten ihm den Aufstieg zu internationaler Geltung, und um sich in ihr zu befestigen, hatte er nicht nur ein größeres Atelier, sondern auch ein stärkeres Milieu nötig; er war nicht mehr der Typ für ein gutgemeintes Reihenhaus. Selbst der Architekt Schlaginhauf verließ sein Werk, nachdem es ihm als Stufe und Sprungbrett in ganz andere Dimensionen gedient hatte. Er ließ inzwischen gleichzeitig in St. Petersburg, Basel und Los Angeles bauen, und zum Wohnen kam er gar nicht mehr.
Sutters, nur sie, kinderlos, waren bis zu diesem Tag auf ihrer Wabe sitzen geblieben; jetzt also saß Sutter allein. Die Randlage an der grünen Wiese, die vom Vieh des nahen Mustergutes beweidet wurde, besaß ihre Vorteile; im Augenblick den, daß Sutter mit Fritz, um bei verschlossenen Türen in seinen Garten zu gelangen, keinen halben Kilometer zu gehen brauchte. Der Umweg führte, am Rand des Buschwerks, das ein Rinnsal begleitete, außen an der eigenen Mauer entlang. Diese verlängerte sich noch um ein fensterloses Stück und umfing den sechseckigen Garten mit einem Knick i