: Carl Hegemann
: Raban Witt
: Dramaturgie des Daseins Everyday live
: Alexander Verlag Berlin
: 9783895815737
: 1
: CHF 22.10
:
: Philosophie
: German
: 440
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Buch versammelt Texte, die der Philosoph und Dramaturg Carl Hegemann in den letzten fünfzehn Jahren geschrieben hat. Carl Hegemann über das Glück der Tragödie. Romantische, käufliche und revolutionäre Liebe. Fluchtbewegungen in Familie, Kunst und Staat. Allmacht, Nichtstun und ewige Ruhe. Leben im Selbstwiderspruch. Organisation und Desorganisation von Erfahrung. Adornos Geheimnis. Brechts Theaterrevolution. Schillers amoralische Anstalt. Fake-Strategien. Kunst in Gefahr. Das Männliche ist das Vergängliche. Das Elend der Unsterblichkeit. Der Übergriff als Kunst und Wirklichkeit u.v.a.m. Mit Referenztexten von Frank Castorf, Diedrich Diederichsen, Boris Groys, Christoph Menke, René Pollesch, Christoph Schlingensief und 25 Bildern und Zeichnungen von Ida Müller und Vegard Vinge. Herausgegeben und mit einer Einleitung von Raban Witt.

Carl Hegemann, geb. 1949 in Paderborn, studierte 1969-1978 Philosophie, Soziologie und Literaturwissenschaften in Frankfurt am Main. Nach der Promotion unterrichtete er dort zehn Jahre Philosophie und Soziologie. 2004/2005 war er Gastprofessor an der HdK Karlsruhe und 2006-2014 Professor fu?r Dramaturgie an der HMT 'Felix Mendelssohn Bartholdy' in Leipzig. Seit 1979 arbeitet Hegemann an zahlreichen Theatern und Opernha?usern, darunter das Tu?binger Zimmertheater, das Burgtheater Wien, die Bayreuther Festspiele, die Schauspielha?user in Freiburg, Bochum, Ko?ln, Zu?rich und Hamburg, die Staatsopern in Berlin und Hamburg sowie das Opernhaus in Manaus, Brasilien. Nach dem Tod von Heiner Mu?ller war er 1996-1998 Ko-Intendant am Berliner Ensemble. An der Volksbu?hne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin unter der Leitung von Frank Castorf war er 1992-2017 insgesamt 15 Jahre engagiert, zuletzt 2015-2017 als Chefdramaturg. Dort entstanden auch pra?gende Arbeitszusammenha?nge mit Christoph Schlingensief, Rene? Pollesch, Herbert Fritsch und Bert Neumann. Hegemann unterrichtet u. a. an den Kunstuniversita?ten in Wien und Berlin. Zuletzt arbeitete er mit Frank Castorf, Jette Steckel und Christoph Marthaler. 2018 gru?ndete er die dramaturgische Beratungsagentur 'Everyday live'.

Lie to me, I promise I’ll believe


Kann man echte Liebe kaufen?

Wahre Liebe ist jetzt käuflich! – Aber nur für kurze Zeit! (Werbetext fürRomeo all’Arrabbiata undJulia Crema di Yogurt& italienische Kräuter, Brunch-Brotaufstrich 2007)

Kann Liebe gleichzeitig echt und bezahlt sein? Diese Frage interessiert offenbar nicht nur Hersteller von Brotaufstrich oder deren Werbeagenturen, sie markiert auch zwei zentrale Problemkomplexe, mit denen René Pollesch sich in seinen Stücken herumschlägt.

Der erste Komplex bezieht sich auf die Ökonomie, von der alles, was wir leben und erleben, letztlich abhängt. Alle unsere Bedürfnisse verweisen auf Geld, weil wir sie ohne Geld nicht befriedigen können. Wer zahlungsunfähig ist, dem sind die Schätze der Natur und der Reichtum der Gesellschaft verschlossen. Neben den Dingen, die wir zum Leben brauchen, gibt es ein abstraktes Ding, das als solches zu nichts zu gebrauchen ist, das aber für alle anderen Dinge tauschbar ist. Dieses Ding, eben das Geld, ist etwas, das in der Natur nicht vorkommt. Auf seine »Naturalform«, das Gold, ist es nicht angewiesen, es kann auch als Stück Papier oder als Zahl im Computer existieren. Diese abstrakte Ware, die selbst wertlos ist, die man aber anscheinend in jeden beliebigen Wert verwandeln kann, ist in unserer Gesellschaftsordnung das Objekt der Begierde schlechthin, etwas, auf das alle scharf sind, und etwas, das uns scharf macht. Selbst ernsthafte Künstler, von denen man annehmen könnte, sie seien nur ihren ästhetischen Obsessionen verpflichtet, neigen dazu, mit Frank Zappa zu sagen »We’re Only in It for the Money«, wenn sie mal ehrlich sein wollen. Wenn wir in erster Linie Geld anstreben, wenn es letztlich immer die Frage ist, ob sich das, was wir tun, als marktgängig und lukrativ erweist, wird es gleichgültig, was wir tun. Daraus resultiert Entfremdung und Verdinglichung, unser eigener Lebensprozess erscheint uns fremd, unsere Verhältnisse zu anderen Menschen erscheinen als Verhältnisse von Dingen. Der Schein, das »Als-ob« tritt an die Stelle wirklicher zwischenmenschlicher Vorgänge. Und damit sind wir, wie Pollesch gerne sagt, »getrennt von unserem Leben« oder, wie Marx gerne sagte, »atomisierte Individuen«. Die Wirtschaftsform, die diese Isolation und Gleichgültigkeit in wachsendem Maße erzeugt, ist gleichzeitig so produktiv wie keine andere in der Geschichte. Die beschriebenen unangenehmen Nebenfolgen kann sie nicht vermeiden, ohne sich selbst in Frage zu stellen.