Tschüs, Stadtleben
Wenn man aus dem Moseltal zurück in Richtung Autobahn fuhr und sich damit wieder auf das höhergelegene Hinterland begab, stieß man auf einige kleine Dörfer, die den bekannten Orten an der Mosel in Sachen Idylle in nichts nachstanden.
Niedermühlenbach war so ein Dorf. Anders als im deutlich größeren Obermühlenbach hatte hier der alte Dorfkern mit seinen Bruchsteinhäusern und den Fachwerkscheunen die Jahrhunderte überdauert. Außer einem kleinen Neubaugebiet am Dorfrand gab es fast ausschließlich alte Bausubstanz. Überragt wurde das Dorf von der St.-Hubertus-Kirche, die auf einer kleinen Anhöhe stand.
Touristen, die diese Idylle bestimmt geschätzt hätten, gab es allerdings nur wenige. Und diese waren auch eher auf der Durchreise zu den bekannten Weinorten im Moseltal. Es fehlte Niedermühlenbach schlicht an Winzern, Weinstuben und Restaurants. Nicht einmal ein Heimatmuseum gab es, das möglicherweise den einen oder anderen Touristen an der direkten Durchreise gehindert hätte. Dafür besaß das Dorf eine altmodische Beschaulichkeit, einen Bach, der am Marktplatz vorbei durchs Dorf floss, und – dank der Bäckerei Adenau – den besten Kirschstreuselkuchen, den man sich vorstellen konnte. Vermutlich waren die Niedermühlenbacher zufrieden mit sich selber und ihrer einigermaßen intakten Dorfgemeinschaft.
Fuhr man aus Niedermühlenbach wieder heraus, was nicht allzu lange dauerte, konnte man nach wenigen Kilometern auf der Landstraße links in einen Feldweg abbiegen und erreichte nach kurzer Fahrt das alte Forsthaus.
Clarissa Freifrau von Michel – auf den Titel Freifrau verzichtete sie für gewöhnlich – bog an diesem strahlenden Apriltag auf den Feldweg ein. Fröhlich sang sie ein Stück von Aretha Franklin mit, das gerade im Autoradio gespielt wurde, während ihr Kombi über den Weg holperte.
Seit fast zwei Monaten war sie im Ruhestand und hatte, um ein wenig Abstand von ihrer Arbeit als Leiterin der Mordkommission zu gewinnen, von ihrer Kusine Elli das alte Forsthaus gemietet. Das mit dem Abstand hatte funktioniert. Ihre Zeit im Forsthaus, die Arbeit im Garten und das Leben ohne Termindruck und Bürokratie hatten schon nach wenigen Wochen dafür gesorgt, dass sie kaum noch an ihre Berufsjahre dachte. Sie hatte die Arbeit als Polizistin genossen, aber jetzt war sie froh, alles hinter sich gelassen zu haben.
Endlich lag das Forsthaus vor ihr: weiß verputzt, mit einem Sockel aus hellbraunen Bruchsteinen und einem Giebel aus dunklem Holz.
Sie parkte neben dem Haus, stieg aus und holte die vollen Einkaufstaschen aus dem Kofferraum. Eine mittelgroße Frau, die mit ihren silbergrauen Haaren und dem modischen Kurzhaarschnitt eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schauspielerin Judi Dench aufwies. Einer Judi Dench, wie sie mit einundsechzig Jahren ausgesehen hatte.
Auf dem kiesbedeckten Vorplatz blieb Clarissa einen Moment stehen, um