Kapitel 1
Man sagt, daß aus jungen Huren alte Betschwestern werden. Aber das
trifft bei mir nicht zu. Ich bin frühzeitig zur Hure geworden, ich habe
alles erlebt, was ein Weib im Bett, auf Tischen, Stühlen, Bänken, an
kahle Mauerecken gelehnt, im Grase liegend, im Winkel dunkler Haustore,
in chambres séparées, im Eisenbahnzug, in der Kaserne, im Bordell und im
Gefängnis überhaupt nur erleben kann, aber ich bereue nichts von
alledem. Ich bin heute bei Jahren, die Genüsse, die mein Geschlecht mir
bieten kann, sind im Entschwinden begriffen, ich bin reich, bin
verblüht, und sehr oft ganz vereinsamt. Aber es fällt mir nicht ein,
obgleich ich immer fromm und gläubig gewesen bin, jetzt Buße zu tun. Aus
Armut und Elend wie ich entstammt bin, habe ich alles meinem Körper zu
verdanken. Ohne diesen gierigen, zu jeder Sinnenlust frühzeitig
entzündeten, in jedem Laster von Kindheit auf geübten Körper, wäre ich
verkommen, wie meine Gespielinnen, die im Findelhaus starben oder als
abgerackerte, stumpfsinnige Proletarierfrauen zugrunde gingen. Ich bin
nicht im Dreck der Vororte erstickt. Ich habe mir eine schöne Bildung
erworben, die ich nur einzig und allein der Hurerei verdanke, denn diese
war es, die mich in Verkehr mit vornehmen und gelehrten Männern brachte.
Ich habe mich aufklären lassen und gefunden, daß wir armen, niedrig
geborenen Weiber nicht so viel Schuld haben, als man uns einreden
möchte. Ich habe die Welt gesehen und meinen Gesichtskreis erweitert,
und alles das verdanke ich meinem Lebenswandel, den man einen
»lasterhaften« nennt. Wenn ich meine Schicksale jetzt aufschreibe, so
tue ich das nur, die Stunden meiner Einsamkeit damit zu kürzen, und was
mir jetzt abgeht, aus der Erinnerung wenigstens herbeizuschaffen. Ich
halte das für besser als bußfertige Erbauungsstunden, die meinem Pfarrer
wohl gefielen, die mir aber nicht zu Herzen gingen und mir nur eine
grenzenlose Langeweile bereiten würden. Auch finde ich, daß der
Lebensgang von Meinesgleichen nirgends aufgeschrieben steht. Die B