: Josefine Mutzenbacher
: Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt
: neobooks Self-Publishing
: 9783753193199
: 1
: CHF 0.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 169
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Josefine Mutzenbachers Erinnerungen sind ein Meisterstück erotischer Literatur. Dabei ist es fragwürdig, ob es die Wiener Prostituierte, die angeblich von 1852 bis 1904 gelebt haben soll, überhaupt gegeben hat. Der Text erschien erstmals 1906 in einer kleinen Auflage und wurde durch spätere Verfilmungen ein Welterfolg. Viel mehr noch als jeder Film regt das Buch unsere Phantasie an ...

Josefine Mutzenbacher (1852-1904), Wiener Prostituierte

Kapitel 1


Man sagt, daß aus jungen Huren alte Betschwestern werden. Aber das

trifft bei mir nicht zu. Ich bin frühzeitig zur Hure geworden, ich habe

alles erlebt, was ein Weib im Bett, auf Tischen, Stühlen, Bänken, an

kahle Mauerecken gelehnt, im Grase liegend, im Winkel dunkler Haustore,

in chambres séparées, im Eisenbahnzug, in der Kaserne, im Bordell und im

Gefängnis überhaupt nur erleben kann, aber ich bereue nichts von

alledem. Ich bin heute bei Jahren, die Genüsse, die mein Geschlecht mir

bieten kann, sind im Entschwinden begriffen, ich bin reich, bin

verblüht, und sehr oft ganz vereinsamt. Aber es fällt mir nicht ein,

obgleich ich immer fromm und gläubig gewesen bin, jetzt Buße zu tun. Aus

Armut und Elend wie ich entstammt bin, habe ich alles meinem Körper zu

verdanken. Ohne diesen gierigen, zu jeder Sinnenlust frühzeitig

entzündeten, in jedem Laster von Kindheit auf geübten Körper, wäre ich

verkommen, wie meine Gespielinnen, die im Findelhaus starben oder als

abgerackerte, stumpfsinnige Proletarierfrauen zugrunde gingen. Ich bin

nicht im Dreck der Vororte erstickt. Ich habe mir eine schöne Bildung

erworben, die ich nur einzig und allein der Hurerei verdanke, denn diese

war es, die mich in Verkehr mit vornehmen und gelehrten Männern brachte.

Ich habe mich aufklären lassen und gefunden, daß wir armen, niedrig

geborenen Weiber nicht so viel Schuld haben, als man uns einreden

möchte. Ich habe die Welt gesehen und meinen Gesichtskreis erweitert,

und alles das verdanke ich meinem Lebenswandel, den man einen

»lasterhaften« nennt. Wenn ich meine Schicksale jetzt aufschreibe, so

tue ich das nur, die Stunden meiner Einsamkeit damit zu kürzen, und was

mir jetzt abgeht, aus der Erinnerung wenigstens herbeizuschaffen. Ich

halte das für besser als bußfertige Erbauungsstunden, die meinem Pfarrer

wohl gefielen, die mir aber nicht zu Herzen gingen und mir nur eine

grenzenlose Langeweile bereiten würden. Auch finde ich, daß der

Lebensgang von Meinesgleichen nirgends aufgeschrieben steht. Die B