Kapitel 1
Uns bleibt immer Paris …
Die Neonröhren flackerten nervös. Immer wieder tauchten sie den fensterlosen Gang in stockfinstere Dunkelheit, verbargen nackte Betonwände und graue Heizungsrohre für die Dauer von winzigen Sekundenbruchteilen. Heißer Dampf stieg aus verrosteten Dichtungsstellen, und in der Luft lag ein mechanisches Zischen und Stampfen, das ebenfalls auf die gewaltige alte Heizungsanlage zurückzuführen war. Hier unten, tief im Bauch des alten Hotels, war allein sie die Königin – und ihre Leibgarde hieß Angst.
Klaas Heiland schluckte trocken. Mit jedem neuen Schritt wurden seine Knie weicher. Seine Fingerkuppen kribbelten, als krieche ein Stamm wild gewordener Ameisen darüber. Er hörte das Zischen aus den grauen Rohren kaum noch, die in diesem gottverlassenen Winkel des Kellers nahezu überall an der Decke verliefen, denn in seinen Ohren hallte sein eigener Herzschlag wider. So laut, als wolle er den Rest dieser unterirdischen Welt übertönen.
Was mache ich da eigentlich?, fragte Heiland sich nicht zum ersten Mal, seit er den Keller betreten hatte.Warum gehe ich nicht zurück und rufe die Polizei? Ich könnte den Rest mühelos den Profis überlassen.
Sein alter Bekannter Tobias Kern lebte ja schließlich direkt hier in Bad Blümchen, oder etwa nicht? Und er wusste bereits, um was es bei dieser traurigen Angelegenheit ging!
Doch auch wenn die Vernunft eine andere Sprache sprach: Heiland kehrte nicht um. Er konnte einfach nicht anders.
Ich bin schon weit gekommen, dachte der Pastor und schluckte wieder.Ganz ohne fremde Hilfe. Und jetzt muss ich es auch allein beenden. Um seinetwillen.
Denn er konnte mit dem Mörder reden. Daran glaubte er ganz fest. Wenn er es nur richtig anstellte, konnte er diesen Wahnsinnigen auf den rechten Pfad zurückführen. Ihm helfen. Dafür waren Seelsorger doch da, oder? Um die verlorenen Schafe zurück zur Herde zu begleiten?
Auf jeden Fall, dachte er und spürte, wie er sogleich von neuem den Mut verlor.Dieses eine Schaf ist allerdings sehrverloren.
Heiland atmete tief durch und zwang seine Nervosität in ihre Schranken. Irgendwo weiter vorn hatte Joshua Leutze gerade erneut zu Schreien begonnen. Sein wirres Gebrüll hallte aus den Schatten des von allen guten Geistern verlassenen Heizungskellers wie ein Echo aus Höllentiefen.
»Sie werden mich nie kriegen, verstanden?«, verkündete der alte Mann lautstark. »Niemals! Eher nehme ich sie alle mit in den Tod, als dass ich das zulasse. Jeden Einzelnen von ihnen.«
Heiland setzte einen weiteren Fuß vor den anderen, langsam und vorsichtig.Bloß kein Geräusch machen, warnte er sich und schickte ein stummes Gebet an seinen Schöpfer.Noch weiß Leutze nicht, dass ich ihm auf den Fersen bin. Noch wähnt er sich allein und in Sicherheit.
»Das hätte ich von Anfang an tun sollen«, zeterte der Wahnsinnige weiter. »Ich war viel zu gnädig mit diesen Narren.Ein Mord? Pah! Ich hätte mit einem ganzen Dutzend anfangen sollen, in jener Nacht. Vielleicht hätten siedann begriffen, mit wem sie sich hier anlegen!«
Leutze befand sich in einem der vielen kleinen Zimmer dieses wahren Irrgartens von einem Keller. Je näher Heiland ihm kam, desto lauter wurde er. Der Pastor brauchte nur der Stimme zu folgen, sie würde ihn ans Zie