: Jack London
: Die Zwangsjacke
: mehrbuch
: 9783985946877
: 1
: CHF 0.90
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Professor Darrell Standing, Insasse der Todeszelle des Zuchthauses von Folsom, der den Tod durch den Strang erwartet, erzählt die Geschichte seiner phantastischen Flucht: Wegen Mordes an einem Universitätskollegen angeklagt, wegen nicht begangener Sprengstoffanschläge brutalen Vernehmungsmethoden unterzogen, gefoltert und zuletzt in monatelanger Einzel- und Dunkelhaft in einem zugigen Verlies in der gefürchteten Zwangsjacke beinahe zu Tode gemartert, lernt Standing von einem Mitgefangenen eine geheimnisvolle Kunst: er verlässt den geschundenen Körper, schweift durch Zeit und Raum, tritt in andere, abenteuerliche Leben ein, während er selbst verurteilt ist, zu verlöschen.

Jack London war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Er erlangte vor allem Bekanntheit durch seine Abenteuerromane Ruf der Wildnis und Wolfsblut sowie durch den mehrfach verfilmten Abenteuerroman Der Seewolf und den autobiographisch beeinflussten Roman Martin Eden.

5

Jetzt, da ich die Methode gelernt hatte, ging es ganz leicht. Da ich wußte, daß es mit jedem Mal leichter gehen würde, wenn man erst einmal den Weg gefunden hat, wo der Widerstand am geringsten ist, wird man ihn immer wieder einschlagen, immer weniger Widerstand finden. Allmählich vollzog sich, wie Sie sehen werden, meine Reise vom Gefängnisleben in San Quentin ins andere Leben fast automatisch.

Nachdem Direktor Atherton und sein Stab mich verlassen hatten, brauchte ich nur wenige Minuten, um den belebten Teil meines Körpers in den kleinen Tod zurückzubringen. Tod im Leben war es, aber Tod nur sozusagen in kleinerem Format, wie der zeitweilige Tod, der durch Betäubungsmittel hervorgerufen wird.

Und so war ich mit einem Sprung fern in Zeit und Raum – fort von allem Schmutzigen und Niedrigen, von der Zwangsjackenhölle, von meinen Fliegen und von der Knöchelrede der lebendigen Toten.

Dann folgten die Dunkelheit und das langsam wachsende Bewußtsein von andern Dingen und von einem andern Selbst. Zuerst kam in dieses Bewußtsein Staub, eine Menge Staub. Es war Staub auf meinen Lippen, in meiner Nase, trocken und bitter. Er lag auf meinem Gesicht, meinen Händen und namentlich auf meinen Fingerspitzen.

Das nächste, dessen ich mir bewußt war, war unaufhörliche Bewegung. Alles um mich her wankte und taumelte. Es stieß und erschütterte, und ich hörte etwas, das, wie ich als etwas Selbstverständliches wußte, Räder waren, die an Wagenachsen und Eisenbändern knirschten und kreischten, während sie Steine und Sand zermalmten. Und hin und wieder ertönten die müden Stimmen von Männern, die über die Tiere fluchten, welche zu langsam und unwillig weiterkamen.

Ich öffnete die vom Staub entzündeten Augen, und sofort wehte neuer Staub hinein. Die derben Decken, auf denen ich lag, bedeckte der Staub in einer halbzölligen Schicht. Über mir sah ich durch den rieselnden Staub ein gewölbtes Dach von wogendem, schwankendem Segelleinen, und Myriaden von Staubkörnchen sanken schwer in den Sonnenstreifen herab, die durch die Löcher im Segelleinen brachen.

Ich war ein Kind, ein acht- oder neunjähriger Knabe, und müde war ich – wie die staubbedeckte, eingefallene Frau, die neben mir saß und ein kleines weinendes Kind zu beschwichtigen versuchte. Sie war meine Mutter; das wußte ich als etwas Selbstverständliches, ebenso wie ich wußte, daß die Schultern, die ich vorn auf dem Kutschbock erblickte, wenn ich den Blick an der Decke des Segelleinentunnels im Wagen entl