1. KAPITEL
Kenna Mallory fand, dass sie sich eigentlich recht gut entwickelt hatte, doch das war vermutlich Ansichtssache. Während sie die Pazifikküste vor Santa Barbara entlangfuhr, die Sonne im Rücken, das Radio voll aufgedreht, war sie zufrieden mit sich und der Welt.
Aber ihre Eltern hätten sicher Bücher mit Veränderungsvorschlägen füllen können.
Unglücklicherweise hatten Kenna eine wichtige Eigenschaft von ihnen geerbt: die Eigensinnigkeit. Daher die Familienstreitigkeiten. Sie ordnete sich nicht ein, sie befolgte nicht die Regeln, sie ließ sich nicht in ein Schema pressen. Was die leicht gereizte Stimme ihres Vaters erklärte, die sie jetzt dank des in einem Preisausschreiben gewonnenen Handys hörte.
„Also wirklich, Kenna. Ich verstehe dich nicht“, meinte er in einem Ton, der Ungeduld, Überlegenheit, aber zugleich auch Zuneigung verriet. Eine machtvolle Kombination, die dazu diente, Schuldgefühle in ihr zu wecken. „Ich habe die ideale Aufgabe für dich, und ich kriege nicht mal eine Antwort.“
Oder zumindest keine, die er hören wollte.
Da er seit dem Moment ihrer Geburt sein Möglichstes getan hatte, um ihr Leben in eine bestimmte Bahn zu lenken, und sie ihr Möglichstes getan hatte, um ihn daran zu hindern, war es in den vergangenen siebenundzwanzig Jahren zu etlichen interessanten Auseinandersetzungen zwischen ihnen gekommen. „Danke, Dad. Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber ich habe bereits einen Job.“
„Pudeln den Schmutz aus dem Schwanz zu bürsten ist keine Arbeit, Kenna.“
Sie schaute zu den Wellen, die an die Küste rollten, weil sie ein beruhigender Anblick waren und weil sie jetzt etwas Beruhigendes benötigte. „Ich tue das nicht mehr, und das weißt du.“ Sie vermied es, ihm in Erinnerung zu rufen, womit genau sie sich ihren Lebensunterhalt verdiente. Musste sie ihm wirklich sagen, dass sie nicht mehr seiner Welt angehörte, weil er sie selbst aus ihr hinausgeworfen hatte?
Klar, seit damals hatte sie einige originelle Jobs gehabt, um sich ihr Collegestudium zu verdienen. Aber seit kurzem arbeitete sie in der Buchhaltung von „Nordstrom’s“. Etwas, was sie von Kenneth Mallory dem Dritten gelernt hatte, war ihre Freude an Zahlen und Finanzen. Und sie war gut darin. So gut, dass sie sich an ihren besseren Tagen sogar als genial bezeichnete.
„Die Stelle, die ich für dich habe, ist wichtig“, sagte er. „Ganz im Gegensatz zum Bierzapfen in dieser Bar, in der die Frauen hautenge weiße Tanktops tragen.“
„Ach, du weißt, dass ich das nur ein paar Wochen lang gemacht habe.“ Kenna hatte immerhin genug damit verdient, um die Studiengebühren eines ganzen Semesters zu begleichen.
„Kenna, hör mir ausnahmsweise einmal zu.“
„Na schön.“ Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sein Ton ihr einen Stich versetzte. War es so schlecht, seinen eigenen Weg gehen zu wollen? Erfolgreich sein und ihn gleichzeitig zufrieden stellen zu wollen, ohne sich selbst und ihre Überzeugungen zu verraten?
„Du bist eine Mallory …“
Oh ja, die Masche kannte sie.„Als eine Mallory schuldest du es der Familie … Als eine Mallory musst du dich so und so geben … Als eine M