: Andreas Sommer
: Fremdlinge im Paradies
: LangenMüller
: 9783784484105
: 1
: CHF 13.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 280
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nathan und Ana sind Fremdlinge von irgendwo. Sie haben einen heiklen Auftrag: die Einheimischen dieser - unserer - Welt zu verstehen. Wie leben und lieben sie? Wonach streben, worum streiten sie? Die beiden nehmen Menschengestalt an, um auf ihrer Mission nicht aufzufallen. Was sie auf ihrer Reise entdecken, befremdet sie. Warum verhungern Kinder auf diesem fruchtbaren Planeten? Warum töten sich Menschen wegen einer unsichtbaren Grenze? Warum prassen die einen, während andere im Elend vegetieren? Schon wollen sie aus Enttäuschung über die Menschheit ihre Expedition abbrechen, als sie auf Menschen stoßen, die auch nicht ganz 'von dieser Welt' sind: eine im Verborgenen lebende Sippschaft, unfähig zu hassen oder zu herrschen, denen Besitz und Gier fremd sind. So schöpfen sie neue Hoffnung ... Andreas Sommer betrachtet uns Menschen in seinem neuen Roman mit den Augen von Aliens, die befremdet auf Abgründe und Absurditäten blicken, aber auch die Schönheiten und Chancen unserer Welt erkennen. Eine spannende, humorvolle und zugleich tiefernste Parabel über das Unmenschliche der Menschheit.

Glücksbringer

I

Weiser Rat!

Erde nennen sie unseren Syranam,Sonne ihren ziemlich unbedeutenden Leitstern in jener Galaxie, die bei uns Ofra heißt, bei ihnen aberMilchstraße.

Milch wiederum ist eine weißliche Flüssigkeit, die sie aus denEutern von Kühen abzapfen. Anderthalb Milliarden dieser spendablen Tiere halten sie sich. (Das ergäbe einen lückenlosen Almauftrieb von der Erdkugel bis hinauf zu ihrem Mond, vierhunderttausend Kilometer entfernt, dabei jeweils sieben Kühe nebeneinander.)

Eigentlich stellen Kühe diese Nährflüssigkeit für ihren Nachwuchs bloß einige Wochen bereit. Sobald das Jungtier nicht mehr an den Zitzen des Muttertieres saugt, versiegt die Fabrikation. Doch weil die Besiedler von Syranam Milch über alles lieben, überlisten sie ihre Kühe. Täglich zweimal massieren sie deren Zitzen. Das lässt die Kuh glauben, ihr Kälbchen benötige immer noch Muttermilch und ihre Milchdrüsen produzieren weiter. Täglich bis vierzig Liter holenMelker aus einer Kuh heraus.

Die halb nackt durchs Zimmer streunende Ana schilderte mir diese Täuschung mit empörter Stimme:

»Welch arglistiges Spiel mit dem Mutterinstinkt ist das denn!«

Auf ihr Urteil ging ich nicht ein, weil ich über die Namensgebung der Galaxie nachsann. Was hatte die Flüssigkeit aus Eutern mit der sich verbrennenden Galaxie zu tun? Auch derCognitar konnte keinen Zusammenhang herstellen. Nicht zum letzten Mal wurde mir bewusst, wie lückenhaft sein und damit unser Wissen war. Würde ich halt morgen unsere erste Gastgeberin fragen.

Ich mochte Madame Céline. Herzlichkeit scheint ein Grundzug der menschlichen Psyche zu sein. Witwe war sie, Mitte siebzig und rundlich und wohl arm. Sie hatte Schalk in den Augen und den Kopf voller Löckchen in vergilbtem Weiß. Nun verbrachten wir unsere zweite Nacht auf Syranam in ihrem Schlafzimmer, während sie sich mit dem Sofa im Wohnzimmer begnügte. Vergeblich hatten wir uns gegen diese noble Geste gewehrt. Das gehe doch nicht! Sie hatte gelacht und uns mit der Autorität der Hausherrin ins Zimmer gescheucht: »Seit mein Eduard gestorben ist, geht hier alles nach meinem Kopf!«

Ich lag bereits auf ihrem Bett und spürte den Schlaf kommen. Doch meine Begleiterin zog weiterhin ihre Runden um Ohrensessel und dreibeiniges Tischchen, vorbei an Kommode und Schrank. Nach dem brutheißen Tag war es im Zimmer immer noch sehr warm. Ana trug einzig das, was hier als Unterwäsche bezeichnet wird. Weibliche Sapiens tragen zwei Stück, männliche eines. Ihre Funktion war uns noch nicht klar.

Den Duft im Zimmer identifizierte der Cognitar als Lavendel. Ana tourte und redete: Den Kühen würden jedes Jahr 800 Milliarden Liter abgezapft. Nicht alles werde getrunken. Auch festes Essen, als Käse oder Butter bezeichnet, würde daraus hergestellt.

»Im Übrigen sind Kühe nicht die einzigen Nutztiere, die auf Syranam – pardon, der