PROLOG
Kylie Richardson seufzte und sah sich in ihrem Buchladen um. Mit fünfundzwanzig Jahren war sie am Ziel ihrer Träume angelangt. Aber wo blieb die große Freude? Warum klopfte ihr Herz nicht wie verrückt vor Glück? Kylie fühlte nur eine drückende Leere.
Seit Jahren hatte sie Opfer gebracht, um eines Tages ihre eigene Chefin zu sein. Neben und nach ihrem Literaturstudium hatte sie in einer großen Buchhandlung gearbeitet und Doppelschichten eingelegt, sooft es ging. Jeden Cent hatte sie zur Seite gelegt, anstatt ihr Geld für Reisen, Schmuck oder hübsche Kleidung auszugeben.
Zum Glück fielen Kylies goldblonde Locken auch ohne teure Frisur weich um das herzförmige Gesicht, und an ihrer zierlichen Figur wirkten selbst Jeans und T-Shirt so schick wie teure Designerkleidung.
Vor drei Monaten war es endlich so weit gewesen: Zusammen mit ihrem Verlobten Matthew hatte Kylie den Kaufvertrag für ihren gemeinsamen Buchladen im aufstrebenden Londoner Stadtteil Hackney unterschreiben können. Und in den darauffolgenden Wochen hatten sie mit harter Arbeit aus einem heruntergekommenen ehemaligen Pub ein kleines Paradies gezaubert.
Kylie betrachtete die riesigen blitzsauberen Fenster, vor denen sie bequeme alte Ledersofas und niedrige Holztischchen platziert hatte. An den Wänden standen prall gefüllte Bücherregale, und der alte Holzboden glänzte frisch poliert. Alles war bereit für die Eröffnung.
Doch zuerst kam die Hochzeit.
Bei dem Gedanken wurde Kylies Herz noch schwerer. In fünf Tagen würde sie mit Matthew vor den Altar treten. Das weiße Kleid und der Schleier hingen in ihrem Schrank, die Einladungen waren verschickt, die Blumen bestellt. Seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Universität war er der Mann ihres Lebens. Mit ihm teilte Kylie die Liebe zu Büchern, außerdem war er genauso fleißig, ehrgeizig und sparsam wie sie. Und das Wichtigste war: Er liebte sie.
Warum also hätte sie sich am liebsten auf einem der Sofas zusammengerollt und geweint, anstatt vor Glück zu jubeln?
Ich weiß es nicht, dachte sie unglücklich und biss sich auf die volle Unterlippe.
Irgendetwas fühlte sich nicht richtig an. Seit Tagen, vielleicht schon seit Wochen, lauerte unter der Oberfläche diese seltsame Traurigkeit.
Wann haben Matthew und ich das letzte Mal zusammen gelacht? überlegte Kylie. Wann hatten sie das letzte Mal über etwas anderes als Wandfarbe oder die Auswahl der Bücher geredet?
Lag es nur an der vielen Arbeit, oder hatte Matthew sich in den letzten Wochen wirklich von ihr zurückgezogen? Ihr fiel auf, dass sie nicht einmal wusste, wo er gerade steckte. Vor zwei Stunden hatte er sich mit einer gemurmelten Bemerkung von ihr verabschiedet, die sie nicht verstanden hatte. Aber sie war viel zu beschäftigt gewesen mit dem Aufhängen der cremefarbenen Leinenvorhänge, um nachzufragen.
Kylie seufzte tief. In ihrem Kopf drehte sich alles. Was sollte sie tun? Mit ihm reden? Oder waren diese Zweifel vor der Hochzeit ganz normal? Vielleicht musste sie sie einfach nur hartnäckig genug ignorieren, und dann würden sie von selbst wieder verschwinden.
Für einen Moment sehnte sie sich heftig nach ihrer Zwillingsschwester, aber Megan lebte seit Jahren als Tauchlehrerin auf der kleinen griechischen Insel Leros.
Plötzlich vermisste Kylie den warmen Sonnenschein auf ihrer Haut und das Rauschen des Meeres. Für einen Moment glaubte sie fast, den so unverwechselbaren Duft wilder Kräuter zu riechen.
Kylie zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte Megans Nummer, doch es meldete sich nur der Anrufbeantworter. In zwei Tagen würde ihre Schwester zur Hochzeit kommen, aber so lange konnte Kylie nicht warten. Sie musste jetzt mit jemandem reden, sonst würde sie platzen.
Nervös zerrte Kylie an ihrem Rollkragen. Ihr war, als würde sie ersticken. Rasch kämpfte sie das Gefühl nieder.
Sie war genau dort, wo sie sein wollte. Dafür habe ich sehr hart gekämpft, sagte sie sich ärgerlich. Woher kam jetzt plötzlich das Bedürfnis, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen?
Heftig schüttelte sie den Kopf und versuchte, über ihre dummen Zweifel zu lachen. Alles war in bester Ordnung. Diese Zeit war einfach sehr anstrengend und stellte einen Wendepunkt in ihrem Leben dar. Wahrscheinlich bildete sie sich nur ein, dass Matthe