: Rudolf Steiner
: Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit Band 155 in der gelben Reihe
: neobooks Self-Publishing
: 9783753191447
: gelbe Buchreihe
: 1
: CHF 9.90
:
: Philosophie, Religion
: German
: 263
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, Autor zahlreicher Schriften, philosophiert in diesem Buch über die Freiheit, das bewusste menschliche Handeln, den Grundtrieb der Wissenschaft, das Denken im Dienste der Weltauffassung, die Welt als Wahrnehmung, das Erkennen der Welt, die menschliche Individualität, über die Grenzen des Erkennens, die Faktoren des Lebens, die Idee der Freiheit, über Freiheitsphilosophie und Monismus, über Weltzweck und Lebenszweck, die moralische Phantasie, den Wert des Lebens, über Individualität und Gattung und über die Konsequenzen des Monismus.

Rudolf Steiner kam am 27. Februar 1861 als Sohn eines österreichischen Bahnbeamten in Donji Kraljevec im heutigen Kroatien zur Welt. 1902 schloss er sich der Theosophischen Gesellschaft an, von der er sich aber 1913 trennte, um seine Anthroposophische Gesellschaft und das Goetheanum in Dornach bei Basel zu gründen. 1919 wurde er zusammen mit Emil Molt Begründer der ersten Waldorf-Gesamtschule in Stuttgart. Er starb am 30. März 1925 in Dornach in der Schweiz.

Kapitel zwei – Der Grundtrieb der Wissenschaft


Kapitel zwei – Der Grundtrieb der Wissenschaft

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der andern trennen;
die eine hält, in derber Liebeslust,
sich an die Welt mit klammernden Organen;
die andere hebt gewaltsam sich vom Dust
zu den Gefilden hoher Ahnen.

Faust 1

Goethe

Mit diesen Worten spricht Goethe einen tief in der menschlichen Natur begründeten Charakterzug aus. Nicht ein einheitlich organisiertes Wesen ist der Mensch. Er verlangt stets mehr, als die Welt ihm freiwillig gibt. Bedürfnisse hat die Natur uns gegeben; unter diesen sind solche, deren Befriedigung sie unserer eigenen Tätigkeit überlässt. Reichlich sind die Gaben, die uns zugeteilt, aber noch reichlicher ist unser Begehren. Wir scheinen zur Unzufriedenheit geboren. Nur ein besonderer Fall dieser Unzufriedenheit ist unser Erkenntnisdrang. Wir blicken einen Baum zweimal an. Wir sehen das eine Mal seine Äste in Ruhe, das andere Mal in Bewegung. Wir geben uns mit dieser Beobachtung nicht zufrieden. Warum stellt sich uns der Baum das eine Mal ruhend, das andere Mal in Bewegung dar? So fragen wir. Jeder Blick in die Natur erzeugt in uns eine Summe von Fragen. Mit jeder Erscheinung, die uns entgegentritt, ist uns eine Aufgabe mitgegeben. Jedes Erlebnis wird uns zum Rätsel. Wir sehen aus dem Ei ein dem Muttertiere ähnliches Wesen hervorgehen; wir fragen nach dem Grunde dieser Ähnlichkeit. Wir beobachten an einem Lebewesen Wachstum und Entwickelung bis zu einem bestimmten Grade der Vollkommenheit: Wir suchen nach den Bedingungen dieser Erfahrung. Nirgends sind wir mit dem zufrieden, was die Natur vor unseren Sinnen ausbreitet. Wir suchen überall nach dem, was wir Erklärung der Tatsachen nennen.

Der Überschuss dessen, was wir in den Dingen suchen, über das, was uns in ihnen unmittelbar gegeben ist, spaltet unser ganzes Wesen in zwei Teile; wir werden uns unseres Gegensatzes zur Welt bewusst. Wir stellen uns als ein selbständiges Wesen der Welt gegenüber. Das Universum erscheint uns in den zwei Gegensätzen: Ich und Welt.

Diese Scheidewand zwischen uns und der Welt errichten wir, sobald das Bewusstsein in uns aufleuchtet. Aber niemals verlieren wir das Gefühl, dass wir doch zur Welt gehören, dass ein Band besteht, das uns mit ihr verbindet, dass wir nicht ein Wesen außerhalb, sondern innerhalb des Universums sind.

Dieses Gefühl erzeugt das Streben, den Gegensatz zu überbrücken. Und in der Überbrückung dieses Gegensatzes besteht im letzten Grunde das ganze geistige Streben der Menschheit. Die Geschichte des geistigen Lebens ist ein fortwährendes Suchen der Einheit zwischen uns und der Welt. Religion, Kunst und Wissenschaft verfolgen gleichermaßen dieses Ziel. Der Religiös-Gläubige sucht in der Offenbarung, die ihm Gott zuteilwerden lässt, die Lösung der Welträtsel, die ihm sein mit der bloßen Erscheinungswelt unzufriedenes Ich aufgibt. Der Künstler sucht dem Stoffe die Ideen seines Ich einzubilden, um das in seinem Innern Lebende mit der Außenwelt zu versöhnen. Auch er fühlt sich unbefriedigt von der bloßen Erscheinungswelt und sucht ihr jenes Mehr einzuformen, das sein Ich, über sie hinausgehend, birgt. Der Denker sucht nach den Gesetzen der Erscheinungen, er strebt denkend zu durchdringen, was er beobachtend erfährt. Erst wenn wir den Weltinhalt zu unserem Gedankeninhalt gemacht haben, erst dann find