: Annabelle Mandeng
: Umwege sind auch Wege Vom Schwarzsein und anderen Abenteuern
: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783959103268
: 1
: CHF 13.10
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Umwege sind auch Wege!«, findet Annabelle Mandeng. Und Stoppschilder gibt es für sie nicht, es sei denn, sie hält sie selbst hoch. Ob sie von den Nachbar*innen »Schokokind« genannt wird, bei einem Autounfall fast ihren linken Arm verliert, in Pakistan als Schwarze Tochter einer blonden alleinerziehenden Mutter gemobbt wird oder Stangen und Schrauben im Rücken hat - unbeirrbar, mutig und, wenn nötig, auch geduldig bahnt Annabelle Mandeng sich ihren Weg. Dabei lernt sie, Widerständen und rassistischen Anfeindungen mit Offenheit, Empathie, Disziplin und Humor (»der durchaus auch schwarz sein kann«) zu begegnen. Ihr Lebensmotto: Aufgeben gilt nicht! Dann - kurz vor ihrem 50. Geburtstag - hat sie ihren Durchbruch als Schauspielerin: Für ihre Rolle in »Berlin Alexanderplatz« wird sie auf der Berlinale 2020 gefeiert. Aber Ausruhen kommt für Annabelle Mandeng nicht in Frage. Schließlich hat sie noch viel mehr vor ...

Annabelle Mandeng, 1971 als Tochter einer deutschen Studienrätin und eines kamerunischen Regierungsbeamten in Göttingen geboren, wuchs mit ihrem älteren Bruder nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter in Bad Zwischenahn, Togo und Pakistan auf. Sie hat bereits als Jugendliche an Theatern gespielt, ist in Fernsehserien, TV- und Kinofilmen vor der Kamera zu sehen und arbeitet seit Jahren als TV- und Eventmoderatorin sowie als Synchronsprecherin. Sie ist auch als Malerin tätig, zuletzt mit einer Einzelausstellung im Hotel de Rome in Berlin.

Zwischen den Meeren


Es ist Nacht, und die Flammen des Feuers spiegeln sich in den Augen der Tänzer. Die Kaurimuscheln1 an den Kostümen klackern, die Trommeln schlagen in hypnotischen Rhythmen. Nackte Füße auf gestampftem Sand, Schweiß, Gesang, Intensität. In gebeugter Haltung bewegen sich die Tänzer um das Feuer, während ich mit großen Augen im Schneidersitz danebensitze. Kamerun, das Land meines Vaters.

Ich war fünf Jahre alt und mit meiner Mutter und meinem Bruder Ousmène zum ersten Mal dort zu Besuch. Vor über drei Jahren hatten sich meine Eltern scheiden lassen. Diese rituellen Tänze gehören ebenso zur Kultur meines Vaters, dem Doktor der Wirtschaftswissenschaften, wie die Anzüge, die gepanzerten Wagen und das Sicherheitspersonal im Ministerium. Als Oberhaupt unserer Großfamilie innerhalb der Yambassa2 wechselte er fließend zwischen den Pflichten eines Oberhauptes und denen eines Regierungsbeamten, trug dunkle Dreiteiler ebenso wie farbenfrohe Boubous3, leitete sowohl internationale Konferenzen als auch traditionelle Zusammenkünfte in seiner Heimat.

Die Flammen wärmten mich, in meinen Ohren dröhnten die fremden Klänge. Ich war fasziniert und verloren gleichzeitig. Vor Kurzem noch im beschaulichen Bad Zwischenahn, befand ich mich jetzt irgendwo auf dem Land unweit von Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Dort war meine Haut zu dunkel, hier zu hell. Die wenigen Wochen in Kamerun verwirrten mich. War Deutschland, das Land meiner Mutter, meine Heimat? Oder gehörte ich hierher? Wo war mein Ursprung, wo mein Zuhause? Immer häufiger stellte ich mir diese Fragen, aber erst als Jugendliche merkte ich irgendwann, dass all das eigentlich keine Rolle spielte. Ich verstand mit der Zeit, dass nicht die geografische Zugehörigkeit zählte, sondern die geistige. Nicht das Land und seine Grenzen, sondern die Menschen und ihre Möglichkeiten.

Diese besondere Nacht in Kamerun werde ich nie vergessen. Die Glut des Feuers, der wilde Tanz, der Schein der Flammen auf den dunklen Gesichtern. Obgleich unsere Zeit in Kamerun nur kurz und die Trennung meiner Eltern endgültig war, bekamen mein Bruder und ich einen Eindruck von der Kultur, die zu unserer Hautfarbe gehörte. Dieser Besuch im Land meines Vaters nahm mir die Hilflosigkeit, wenn es in Deutschland wieder hieß: »Ach, ihr seid doch bestimmt adoptiert«, weil wir so anders aussahen als unsere blonde Mutter.

Wir fuhren auch in das Dorf unserer Familie, eine Ansammlung von Lehm- und Steinhütten, umgeben von Bananen- und Kakaoplantagen, wo ich meine Großeltern kennenlernte. Die hießen Jacques und Jacqueline; Namen, die mein Bruder und ich als Zweitnamen geerbt haben: Ousmène Jacques und Annabelle Jacqueline. Das gefiel mir. Meine Großmutter war damals schon sehr krank, und ich erinnere mich, dass ich ihr einen nassen, kühlen Waschlappen auf die heiße Stirn
legte.

Kamerun, dieses facettenreiche zentralafrikanische Land zwischen Tschadsee und Atlantik, in dem ich mich immer als Fremde gefühlt habe. Trotzdem liebe ich den intensiven Geruch der lehmhaltigen Erde, das laute Gezirpe der Zikaden und die alles umarmende Hitze. Kamerun und Hitze gehörten für mich vom ersten Moment an zusammen. Und obwohl ich mit den hohen Temperaturen kein Problem hatte, freute ich mich riesig, als es wenige Tage vor unserer Rückreise hieß: Onkel Léonard bringt uns zu einem Swimmingpool mit Wasserrutsche!

Das war genau das Richtige für mich, denn ich war – wer hätte das gedacht? – ein echter Wildfang, kletterte auf alles drauf, rannte in Kreisen, kippelte am Tisch, machte viel Sport, hüpfte ü