Astrid Christenson lenkte ihren alten klapprigen Kleinwagen über die Landstraße. Sie fuhr sehr langsam, um die sommerliche Pracht der Landschaft bewundern zu können.
Manchmal schweiften ihre Gedanken zu ihrer Tante Agathe zurück, bei der sie sechs Wochen verbracht hatte.
Agathe Tieders war ihre einzige Verwandte, die Schwester ihrer Mutter, und sie war schwer krank. Sie hatte schon den zweiten Herzinfarkt erlitten, und der Hausarzt hatte ihr anvertraut, dass Tante Agathe einen dritten Infarkt wohl kaum überleben würde.
Arme Tante Agathe, dachte Astrid. Sie mochte die alte Dame sehr, denn sie war trotz ihrer schweren Krankheit stets heiter und gelassen.
Astrid lenkte ihren Wagen in die breite Allee ein, die schnurgerade auf Gut Palmen zuführte. Hohe Pappeln säumten die Straße, rechts und links erstreckten sich Wiesen und Felder.
Ihr Herz klopfte schneller, als sie die hellen Mauern des Gutshauses auftauchen sah.
Endlich, dachte sie, und ein Seufzer kam über ihre Lippen. Endlich bin ich wieder bei Henning! Sechs Wochen hatte sie sich bei ihrer kranken Tante aufgehalten, und jeder Tag hatte mit sehnsüchtigen Gedanken an Henning geendet.
Gut Palmen war in Hufeisenform angelegt. In der Mitte erhob sich breit und mächtig das Herrenhaus, rechts und links erstreckten sich die niedrigen Stallungen und die Gesindehäuser.
Astrid parkte ihren Wagen im Schatten der hohen Blutbuche vor dem Haus.
Sie stieg aus und schaute sich um. Hier hatte sie das Gefühl, zu Hause zu sein.
»Hallo, Herr Weiß!«, rief sie, als sie den Verwalter des Gutes aus den Stallungen kommen sah. »Ist Graf Palmen bei Ihnen?«
»Nein, Fräulein Christenson, er ist zum Vorwerk geritten«, erwiderte Gerd Weiß. »Aber er wird bestimmt bald zurückkommen, denn er ist schon seit etwa vier Stunden unterwegs.«
»Danke!«, rief Astrid und stieg die Stufen zur Haustür hinauf. In der geräumigen Diele begegnete ihr Berta, die Henning den Haushalt führte.
Berta und Astrid verstanden sich gut, und über Bertas rundes Gesicht glitt ein freundliches Lächeln, als sie die junge Frau begrüßte.
»Das war aber ein langer Aufenthalt bei Ihrer Tante, Fräulein Christenson«, sagte sie und reichte ihr die Hand. »Geht es Ihrer Frau Tante denn nun besser?«
»Es sieht nicht sehr gut aus, Berta«, erwiderte Astrid. »Ich bin sehr müde von der Fahrt. Können Sie mir einen Kaffee ins Wohnzimmer bringen?«
»Aber ja, gern«, antwortete die Haushälterin und eilte in die Küche.
Astrid betrat das Wohnzimmer. Sie nannte es so, obwohl Henning immer vom kleinen Salon sprach. Jugendstilmöbel hoben sich gegen die beigefarbenen Seidentapeten ab, alte Ölbilder hingen an den Wänden, und dicke Teppiche dämpften die Schritte.
Astrid setzte sich nahe dem Fenster in einen Sessel. Von hier aus konnte sie den Innenhof überblicken, und als sie Henning auf seinem mächtigen schwarzen Hengst durch das Tor reiten sah, huschte ein zärtliches Lächeln über ihr Gesicht.
Sie sah, wie er mit dem Verwalter sprach, ihm die Zügel des Pferdes gab und mit langen Schritten auf das Herrenhaus zukam.
Wenige Minuten später betrat er den kleinen Salon.
»Astrid!«, rief er erfreut aus und zog sie in die Arme. Doch statt der stürmischen Küsse, die sie erwartete, streiften seine Lippen nur flüchtig ihre Wangen.
»Nanu? So kühl?«, sagte sie befremdet. »Begrüßt man so die Frau, die man liebt?«
»Verzeih, aber mir steht nicht der Sinn nach stürmischen Liebesszenen«, murmelte er und setzte sich.
Erst jetzt bemerkte sie, dass er müde und abgespannt aussah. Berta brachte den Kaffee, und Henning bat um eine Flasche Bier.
Astrid setzte sich zu ihm, doch sie hatte plötzlich das Gefühl, dass er unangenehme Nachrichten für sie hatte. Angst erfasste sie.
»Es ist gut, dass du endlich gekommen bist«, sagte er leise und senkte den Kopf.
Berta brachte eine Flasche Bier und ein Glas.
»Haben Sie noch Wünsche?«, fragte sie.
Henning Graf von Palmen schüttelte den Kopf, auch Astrid verneinte.
Er wartete, bis die Haushälterin den Salon verlassen hatte.
»Astrid,