: Pascal Dessaint
: Verlorener Horizont Roman Noir
: Polar Verlag
: 9783948392338
: 1
: CHF 16.10
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwischen Gravelines und Calais stranden drei Menschen am Rand der Gesellschaft. Lucille, eine junge Lehrerin, die aus dem französischen Bildungssystem aus- geschieden ist, um sich den Migranten im Dschungel von Calais zu widmen, ist seit dessen Demontage desillusioniert. Auf der Suche nach einer 'Bleibe' gelangt sie auf das Land eines einsamen Wolfs namens Anatole, der von einer mythischen Jagd träumt und Wohnwagen vermietet. Er sieht Filme von Jean Gabin und sammelt Rabattcoupons. Seine Stunden verbringt er damit, hölzerne Vögel zu basteln, die er als Lockvögel verwendet. Er fängt aber nie viel, das Träumen reicht ihm. Zwischen der jungen Frau und dem alten Mann entwickelt sich eine seltsame Beziehung, die durch Loïk gestört wird, einem unberechenbaren, zu allem entschlossenen Mann, der nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes gestanden hat. Er quartiert sich in der ehemaligen Pommesbude von Anatole ein. Impulsiv. Nur sich selbst verpflichtet. Alle drei verweigern sich den Konventionen. Sie verabscheuen die strengen Regeln einer auf Normen geschraubten Gesellschaft. Ein Dreiecksverhältnis entspinnt sich, das bald schon ein Drama heraufbeschwört.

Pascal Dessaint wurde in eine Arbeiterfamilie im Norden Frankreichs geboren. Er ist einer der wichtigsten Autoren des französischen Noir- Romans, der alle wichtigen Preise der Kriminalliteratur gewonnen hat. Er lebt in Toulouse.

EINS


1
Anatole ist ungeduldig


Am Abend nahm Anatole seine Vögel häufig heraus, seine schlecht gemachten Vögel, die mit einem stumpfen Meißel aus einem Stück Treibholz geschnitzt und mit kräftigen Farben bemalt waren, wenig realistisch wirkten, aber, so hoffte er, trotzdem zu täuschen vermochten. Als ich mich eines Tages darüber lustig machte, erwiderte er:

»Und du, was ist mir dir, gibt es in deinem Leben eigentlich irgendetwas, worauf du dich verlassen kannst?«

»Nein ... Abgesehen davon, dass ich ständig in einer Zwickmühle stecke und mir nur die Wahl zwischen dem einen oder dem anderen Übel bleibt.«

»Also, es ist eben alles so, wie ich es haben will, auch meine Vögel sind so, wie ich sie haben will. Macht nichts, wenn das an meiner Ungeschicklichkeit liegt.«

Anatole legte viel Herzblut hinein, aber keiner seiner Vögel war gelungen. Brachvögel sahen aus wie Reiher, Kiebitze wie Tauben. Hartnäckig hatte er darauf bestanden, dass es auf Schönheit nicht ankäme. Es war nicht die Länge des Schnabels oder die Farbe des Schwanzgefieders, was die echten Vögel anzog, sondern die Haltung zählte, die Art, wie sie auftraten, nicht mehr und nicht weniger. Allerdings schien es, als würden sich nur wenige Zugvögel hereinlegen lassen.

Es war eine Jahreszeit mit starkem Tidenhub. Die Eröffnung der Jagdsaison stand unmittelbar bevor, und Anatole traf Vorbereitungen. Er steckte seine Lockvögel in den Sand, betrac