Prolog
Flirtfähigkeiten liegen eindeutig nicht in der Familie
»Bist du jetzt eigentlich Amerikaner oder Ire?«
Ich nippte an meinem süßen – aber leider alkoholfreien – Cocktail, den mir ein nicht weniger süßer Barkeeper gemixt hatte, aber meine Augen fixierten die ganze Zeit über Ezra O’Callaghan.
Geboren in Amerika, aber als Kind zweier Iren war diese Frage doch mehr als berechtigt. Ezra sollte mir das jetzt endlich mal erklären. Das war doch ein super Gesprächsthema! Oder? Ich konnte doch nicht schon wieder mit dem Wetter anfangen, das seit zwei Wochen konstant angenehm warm, aber nicht sehr sonnig war.
Mit einem selbstbewussten Lächeln nahm ich ihm gegenüber auf einem Hocker Platz und schlug die Beine langsam übereinander. Die schwarzen High Heels betonten meine langen Beine, welche ich mir erst vorgestern ordentlich gewachst hatte. Sie waren so glatt wie bei einer Damenrasierer-Werbung. An meiner glatten Haut würden Raupen, Faultiere, Einhörner und was-weiß-ich-noch-alles abrutschen. Das war auch gut so, da ich meine hochroten Beine nach dem Wachsen eine Stunde in Eiswürfel hatte stecken müssen.
Eine Hand legte ich auf mein Kleid, weil sich das kurze Ding andauernd von selbst hochrollte und ich verhindern wollte, dass er jetzt schon meinen Slip sah. Ausnahmsweise wollte ich mal sexyund elegant wirken.
Ja, ich weiß. Taylor Kramer und elegant?
Die Einzige, die ein bisschen Eleganz in unserer Familie besaß, war meine Tante Ellen. Sie war eine bildschöne Frau und modelte mit ihren über 50 Jahren noch, eine Tatsache, die man natürlich nicht laut aussprechen durfte. Und selbst Tante Ellen war nur elegant, bis sie wie eine Irre rumbrüllte, weil ihr irgendetwas gegen den Strich ging, und ihr ging dauernd etwas gegen den Strich.
»Amerikanische Staatsbürgschaft«, murmelte er. Statt mich anzusehen, hatte er sein attraktives Gesicht in einem abgewetzten Buch vergraben. Das Buch hatte er sicher wieder aus einem Antiquariat. Mir kam es so vor, als ob jedes Bücher-Antiquariat in New York seinen Namen kannte und bei seinen Besuchen den roten Teppich ausrollte. Schließlich war er der beste Kunde. »Ich wurde hier geboren, daran ändert die Nationalität meiner beider Elternteile herzlich wenig.Jus soli.«
»Mhm, interessant.« Ich wickelte eine schwarze Haarsträhne um meinen Zeigefinger. »Ich weiß eigentlich kaum etwas über dich, Ezra. Dabei kennen wir uns schon mein ganzes Leben lang.«
Zum Glück hörte mir niemand zu, als ich mit Ezra flirtete. Normalerweise reichten bei mir ein großzügiger Ausschnitt und ein paar gehauchte Wörter und die Jungs konnten ihre Augen nicht mehr von mir lassen. Meine beste Freundin Daphne, die zugleich meine Cousine war, sagte immer, dass ich eine moderne Sirene mit Plateau-Boots statt Flosse war. Wenn ich eine Sirene war, dann war Ezra aber Odysseus, der sich die Ohren mit Wachs verschlossen hatte.
Die Hotelbar war beinahe komplett leer. Mein Zwillingsbruder Gabriel, kurz Gabe genannt, war schon mit Ricardo abgerauscht, weil die beiden auch noch mit 18 Jahren stundenlang Videospiele spielten, und da waren Desiree und Lorena natürlich mit Freude mitgekommen. Caleb hatte seine und somit auch Ezras kleine Schwester Allison schon nach oben ins Bett gebracht, Lacey musste ihren Lieblingsanime im Simulcast ansehen und die anderen waren im Urlaub oder hatten keinen Bock gehabt, noch einen trinken zu gehen.
»Was willst du von mir, Taylor?«, knurrte Ezra. Er las immer noch in seinem Buch. »Ist Caleb nicht mehr interessant genug für dich?«
»Caleb ist ein Vollidiot.«
Ezras kleiner Bruder Caleb war meiner Meinung nach nicht so gut aussehend wie er, dafür war er viel lebensfroher und einfach für jeden Blödsinn zu haben. Vor drei Tagen hatten Caleb und ich aus einer Bar eine Flasche Champagner gestohlen und sie dann gemeinsam auf einem Spielplatz geköpft und gleich geleert. Wir hatten auch ein wenig rumgemacht, aber ich hatte ihn weggeschubst, bevor er mir noch an die Wäsche ging. So ein Football-Spieler wie Caleb war mir bei aller Liebe dann doch einfach zu langweilig.
Als Tochter zweier weltberühmter Rockstars, die auf den Musikbühnen der Welt aufgewachsen war, stand ich natürlich auf tätowierte und gepiercte Männer. Spielte der Typ ein Instrument oder sang in einer Band? Oh, wo war denn nur mein Höschen abgeblieben?
Ezra hingegen … Er war groß und schlank, nicht so muskulös wie Caleb, dafür besaß er die blauesten Augen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Wie seine Mutter und seine anderen Geschwister hatte er dunkelblonde Haare, aber mit einem leichten Rotstich. Da sein natürlicher Lebensraum die Bibliothek war, war er auch nicht sonderlich gebräunt. Ab und zu trug er eine Lesebrille auf der Nase. Sich die Augen lasern zu lassen, kam für Ezra nicht in Frage.
Um es abzukürzen: Ezra war überhaupt nicht mein Typ, aber trotzdem …
»Er ist eben Caleb«, meinte Ezra nur dazu.
Ȇbermorgen fli