Fröstelnd rieb sich Alice mit den Händen über die Schultern. Sie fühlte sich plötzlich unwohl in ihrer Haut und sehnte sich nach Dannys Nähe. Da vernahm sie hinter sich tappende Schritte. Erschrocken wirbelte sie herum – und erstarrte. Eine schlaksige nachtschwarze Gestalt huschte durch die Eingangshalle und verschmolz im nächsten Moment mit einem Schatten. Alice glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Hatte sie da eben nicht eine der skurillen Koboldgestalten gesehen, die die Säulen und das Treppengeländer zierten? Sie taumelte rückwärts in das Empfangszimmer. Dabei stolperte sie über den Saum ihres Morgenmantels und schlug der Länge nach hin. Im selben Moment schwanden ihr die Sinne. Das letzte, was sie sah, war ein häßliches, verzerrtes Gnomengesicht mit rotglühenden Augen, die sie höhnisch anstarrten. Sie vernahm ein irres, gackerndes Gekicher. Dann wurde alles schwarz vor ihren Augen…
»Möchtest du lieber im Auto sitzen bleiben?« fragte Danny fürsorglich. Er sah Alice mit seinen hellbraunen Augen von oben bis unten verliebt an. Dann verharrte sein Blick auf Alices gewölbten Bauch, der sich deutlich unter dem Kleid abzeichnete.
In Dannys Augen spiegelte sich der wolkenverhangene graue Himmel, der seine Pupillen ein wenig trüber erscheinen ließ und ihnen das lebensfrohe Leuchten nahm, das Alice so sehr liebte.
Regen klatschte gegen die Windschutzscheibe und prasselte heftig aufs Autodach. Jetzt, da Danny den Motor ausgeschaltet hatte, konnte Alice die Regentropfen deutlich hören. Er hämmerte hektisch auf das Blech, als handelte es sich um unzählige kleine Kobolde, die anklopften und unbedingt hereingelassen werden wollten, weil sie sich draußen in dem schummerigen Zwielicht fürchteten.
Entschieden schüttelte Alice den Kopf, so daß eine Strähne ihres gewellten, dunkelbraunen Haares in ihr Gesicht fiel.
»Natürlich werde ich mitkommen«, meinte sie bestimmend und stupste Danny mit dem Zeigefinger gegen die Nase. »Oder glaubst du, ich lasse dich allein entscheiden, wo wir in Zukunft zusammenleben und unsere Kinder aufziehen werden?«
»Ich habe nur Angst, du könntest dich bei diesem Sauwetter erkälten«, entgegnete Danny. Seine Stirn zog sich in Falten. »In deinem Zustand mußt du besonders aufpassen.«
Alice lächelte glücklich. Sie fand es rührend, wie Danny sich um sie sorgte. Aber dadurch würde sie sich in ihrer Bewegungsfreiheit nicht einschränken lassen.
Versonnen schaute sie an Danny vorbei nach draußen. Hinter dem Vorhang aus rinnendem Regenwasser zeichneten sich undeutlich die Umrisse einer alten Villa ab. Aus dem Dach ragten zwei runde schlanke Türme, die jeweils mit einem Spitzdach versehen waren und lange gotische Fenster aufwiesen, die jedoch genauso dunkel und unbeleuchtet waren, wie all die anderen Fenster des Gebäudes. Tannen und Eichen umgaben das Haus und ließen es düster und abweisend aussehen. Nicht unweit der Villa erhob sich ein schwarzes Grabkreuz, das unheilverkündend und verwittert aus dem wildwuchernden Gras ragte.
Das Grabmal erinnerte Alice unwillkürlich daran, wie sie Danny kennengelernt hatte. Sie liebte diesen starken jungen Mann über alles. Zwar kannte sie ihn erst knapp ein Jahr, aber es kam ihr trotzdem so vor, als würde sie schon ewig mit ihm zusammenleben – so vertraut und lieb war er ihr in dieser kurzen Zeit geworden. Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne ihn wäre.
Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte Alice deutlich gespürt, daß Danny etwas ganz Besonderes war. Sie hatten sich in seltsamer Weise romantisch auf einem Londoner Friedhof kennengelernt.
Alice war eine leidenschaftliche Landschaftsmalerin. Sie liebte die besonderen Motive und hatte es mit ihrem Können schon so weit gebracht, daß ein angesehenes Londoner Atelier ihre Bilder ausstellte und verkaufte.
Auf den Friedhof hatte es sie gezogen, weil die Frühlingssonne die alten Grabmale und die frisch erblühten Blumen auf den Gräbern besonders zauberhaft und verklärt aussehen ließ.
Alice suchte sich einen geschützten Platz unter den tiefhängenden Zweigen einer Trauerweide und baute dort ihre Staffelei auf. Dann