»So, ich geh’ jetzt, Mutter!« rief Sabrina Baronesse Ellhaus ihrer Mutter zu, die dabei war, in dem zur Burg gehörenden Garten die Rosen zu beschneiden.
Die Baronin richtete sich auf. »Ich begreife nicht, warum du unbedingt selbst zum Bahnhof fahren mußt, um diesen Herrn Dingsda abzuholen. Er könnte sich doch ein Taxi nehmen.« Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich eine Strähne ihres bereits etwas angegrauten Haares aus der Stirn.
»Herr Schaal kommt nicht nur als Architekt nach Ellhaus, sondern auch als Gast«, erwiderte die Baronesse.
»In meinen Augen ist Herr Schaal kein Gast, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinn«, widersprach ihre Mutter. »Du hast ihn engagiert, damit er sich um die Renovierung unserer Burg kümmert. Du bezahlst ihn also!«
»Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Mutter!« Baronesse Sabrina unterdrückte ein Lächeln. Sie war überzeugt, daß ihre Mutter ganz anders über Ralf Schaal denken würde, wenn es sich bei ihm um einen Herrn von Schaal gehandelt hätte.
»Und warum kommt er mit der Bahn und nicht mit dem Wagen, wie jeder halbwegs vernünftige Mensch?« fuhr die Baronin fort. »Ich sage dir, mit diesem Mann stimmt etwas nicht. Mir wäre es lieber gewesen, du hättest dich an den Architekten Burger aus Bacharach gewandt.«
»Architekt Burger geht auf die siebzig zu und arbeitet seit drei Jahren nicht mehr«, erwiderte Sabrina. »Und was sollte mit Herrn Schaal nicht stimmen? Du weißt, warum er mit der Bahn kommt!« Sie gab sich Mühe, nicht ungeduldig zu werden. »Er rief mich gestern nachmittag an und sagte mir, daß sein Wagen in Reparatur sei und er deshalb die Bahn nehmen würde.« Die Baronesse blickte auf ihre Armbanduhr. »Aber ich muß jetzt gehen, Mutter!«
»Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Wenn du meinst, daß du Herrn Schaal vom Zug abholen mußt, dann tu es nur!«
Die Baronin ließ ihren Blick über Sabrina gleiten.
»Hübsch siehst du aus«, meinte sie zufrieden.
»Danke, Mutter!« Sabrina winkte ihrer Mutter zu und verließ durch eine kleine Pforte den Garten. Im Gehen faßte sie ihre halblangen blonden Locken mit einer Spange im Nacken zusammen. Sie mochte es nicht, wenn ihr beim Fahren die Haare ins Gesicht wehten.
Minuten später war Baronesse Sabrina auf dem Weg nach Bacharach. In vielen Serpentinen zog sich die schmale Straße den Burgberg hinunter. Zweimal überholte sie ein mit Baumstämmen beladenes Fahrzeug. Der Wald um Burg Ellhaus herum gehörte ihrer Familie.
Endlich hatte Sabrina den Fuß des Berges erreicht. Sie bog nach links ab und fuhr jetzt am Ufer des Rheins entlang. Nach zehn Kilometern sah sie rechts auf einer Anhöhe die Burg Stahleck aufragen, in der eine Jugendherberge untergebracht war. Bald darauf passierte sie die ersten Häuser des mittelalterlichen Städtchens Bacharach.
Baronesse Sabrina erreichte gerade den Bahnhof, als der Zug aus Darmstadt eindonnerte. Eilig schlug sie die Wagentür zu, löste im Gehen die Spange aus ihren Haaren und stieg die Treppe zum Bahnsteig hinauf.
Die Zugtüren öffneten sich, und ein ganzer Strom von Passagieren ergoß sich auf den Bahnsteig. Sabrina hielt nach einem achtundzwanzig Jahre alten Mann mit dunklen Augen und schwarzen Haaren Ausschau. Gestern am Telefon hatte ihr Ralf Schaal eine kurze Beschreibung von sich gegeben, damit sie ihn erkennen konnte.
Da, er mußte es sein! Er stand etwas verloren zwischen den anderen Passagieren. Wie er am Telefon gesagt hatte, trug er helle Hosen und ein dazu passendes Sakko. In der linken Hand hielt er einen schmalen Diplomatenkoffer, ein zweiter Koffer stand neben ihm.
Baronesse Sabrina drängte sich an den anderen Passagieren vorbei. Kurz vor dem Fremden blieb sie stehen. »Herr Schaal?« fragte sie.
»Baronesse Ellhaus?« Ralf Schaal lächelte erleichtert. »Ich hatte Ihnen gestern am Telefon zwar gesagt, wie ich aussehe, aber vergessen zu fragen, woran ich Sie erkennen kann«, meinte er.
»Die Hauptsache, wir haben uns gefunden«, erwiderte Sabrina und reichte ihm die Hand. »Willkommen in Bacharach, Herr Schaal!«
»Danke,