2. KAPITEL
Diese Welle gab ihr den Rest, und Eleanor Sutton glaubte für einen Moment, sie würde ertrinken.
In den letzten Stunden hatte sie einen Adrenalinschub nach dem anderen verspürt. Zusammen mit der Hubschraubercrew versuchte sie, die Schiffbrüchigen aus der tosenden See zu bergen. Sie hatten zwei Menschen aus einer Rettungsinsel und einen Mann gerettet, der dank seiner Schwimmweste auf den Wellen trieb.
Außerdem hatten sie einen Segler von einer Jacht geborgen, der durch einen gebrochenen Mast schwere Kopfverletzungen erlitten hatte. Der Hubschrauber war total überladen, mit der Folge, dass Ellie immer noch am Seil hing.
Da sie sich ganz dicht über der Wasseroberfläche befand, hatte sie die beiden zuerst entdeckt. Auf dem dunklen Meer war die orangefarbene Rettungsinsel sehr gut auszumachen gewesen, und mittels ihres Mikrofons konnte Ellie sich trotz des Getöses um sie her gut mit dem Piloten Dave und ihrem Kollegen, dem Rettungssanitäter Mike, verständigen.
„Rettungsinsel mit zwei Personen auf neun Uhr.“
„Wir können niemanden mehr aufnehmen“, erwiderte Dave. „Wir sind schon überladen, und der Sturm nimmt noch zu.“
Obwohl er das ruhig sagte, bemerkte sie sehr wohl den warnenden Unterton in seiner Stimme. Dave war ein brillanter Pilot und betrachtete es immer als Herausforderung, unter Bedingungen wie diesen zu fliegen. Doch er ging kein unnötiges Risiko ein.
Trotzdem konnten sie die beiden Männer nicht ihrem Schicksal überlassen. Der Zyklon würde zwar erst in einigen Stunden seine volle Stärke erreichen, aber sie hätten schon jetzt nicht mehr in der Luft sein dürfen. Vermutlich würden sie ohnehin als Letzte landen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass diese Rettungsinsel von anderen Schiffen entdeckt werden würde, und selbst dann könnte man die Insassen vermutlich nicht retten.
Wenn sie nichts unternahmen, bedeutete es das Todesurteil für zwei weitere Menschen, und bei diesem Jacht-Racing war ohnehin schon zu viel passiert. Ein Mensch war ums Leben gekommen, zahlreiche Segler waren schwer verletzt, und viele wurden noch vermisst.
„Wir könnten wenigstens einen aufnehmen“, schrie Ellie verzweifelt. „Er kann mit mir am Seil hängen. Dann setzen wir ihn ab und kehren zurück, um den anderen zu holen.“
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann meldete Mike sich zu Wort. „Willst du das wirklich machen, Ellie?“
Wollte sie das? Trotz des Neoprenanzugs, den sie unter ihrem Fliegeroverall trug, war sie bereits unterkühlt und konnte die Finger kaum noch bewegen. Werde ich überhaupt die Karabiner öffnen und wieder einhaken können? überlegte sie. Außerdem war sie völlig erschöpft, und ihre alte Rückenverletzung machte sich bemerkbar. Womöglich geriet der Geborgene in Panik und schlug um sich, und dann wäre eine sichere Landung unmöglich.
Doch sie wussten alle, dass sie keine andere Wahl hatten.
„Wir können es wenigstens versuchen, oder?“, meinte Ellie.
Dave fiel es allerdings schwer, den Hubschrauber ruhig in der Luft zu halten, und kurz bevor sie die Rettungsinsel erreichten, schlug eine Welle über Ellie zusammen, und sie befand sich plötzlich unter Wasser und wurde wie ein Fisch an der Angelschnur durch das eisige Meer gezogen.
Obwohl es nicht lange dauerte, schien die Zeit stillzustehen, und unzählige Gedanken jagten ihr durch den Kopf und gipfelten schließlich in einer klaren Erkenntnis.
Sie, Eleanor Sutton, war zweiunddreißig, hatte Rückenprobleme, und ihr Leben verlief ganz anders, als sie es vor drei Jahren geplant hatte. Sie hätte eigentlich glücklich verheiratet sein und ein Baby haben wollen. Dann hätte sie Teilzeit gearbeitet und eines der Fächer unterrichtet, in denen sie so gut war: Luftrettung oder Katastrophenschutz