: Nina Zimmer, Matthias Mühling, Barbara Hess
: »es gibt im Moment keine besseren Künstler als uns in Deutschland« HP Zimmer, Tagebuch 1957-1965
: Hatje Cantz Verlag
: 9783775750769
: Hatje Cantz Text
: 1
: CHF 19.80
:
: Kunst
: German
: 248
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Stilbewusst und (selbst-) kritisch kommentiert Zimmer in seinem Tagebuch das gesellschaftliche Klima im Nachkriegsdeutschland. Die Debatten - über Malerei und künstlerische Freiheit sowie über die Revolution, Boxveranstaltungen, Krimiserien und den drohenden Atomkrieg - sind uns heute fremd und zugleich anrührend vertraut. HP ZIMMER (1936-1992) studierte Ende der 1950er-Jahre an der Kunsthochschule Hamburg und der Kunstakademie München. Die von ihm mitbegründete Gruppe SPUR war eine der ersten Nachkriegsavantgarden der Bundesrepublik. Seit 1982 war HP Zimmer Professor für Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

1957

München, 15.3.1957

Sehr unbequem fuhr ich die Nacht durch und ging in München gleich zur Akademie, ein alter, verfallener Palast, innen modern. Wenn ich eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass ich in Hamburg die Probezeit bestanden habe, beibringe, brauche ich die Aufnahmeprüfung nicht zu machen. Ich schreibe heute noch deswegen.

26.4.57 München

Ankunft in München um halb elf. Diesmal hatte ich Liegewagen. Warmer, sonniger Frühlingstag. Bei der Vermieterin Enttäuschung: Sie hatte die Bude, die ich vor 6 Wochen gemietet hatte, noch mal vermietet. Die Alte ist vielleicht geschäftstüchtig. Ein Kitschmaler mit einem blauen Auge wohnt da jetzt drin, sie gab mir aber was anderes. Spaziergang im Englischen Garten. Es dämmerte, der Bach rauschte, während am Himmel ein von der Abendsonne beschienenes Flugzeug kreiste. Am nächsten Tag in einigen Galerien, Riemenschneider, Manzù, Fuhr. Abends in den »Fahrraddieben«1, später durch Schwabing gebummelt.

30.4.57

Erster Tag der Aufnahmeprüfung. Aktzeichnen. Der Professor sah mir über die Schulter und sagte: Das ist zu barock.

Nachmittags Besuch bei Dr. Graßmann, dem Freund meiner Eltern, um meine Hemden abzuholen. Er spricht von der bayerischen Monarchie, erst durch die Heirat mit preußischen Prinzessinnen sei sie dekadent geworden. Später ging’s um Michelangelo. Ich sagte, ja, ja, aber der war auch mal Avantgardist, und wer die alte Kunst wirklich schätzt, versteht auch die neue, weil er darin vieles wiederentdeckt.

Sonnabend, 4.5.57

Prüfung bestanden.

HP Zimmer

Entkleidung Christi nach El Greco 1957

Öl auf Leinwand 50 × 33 cm

7.5.57

Zum ersten Mal in der Malklasse von Glette, einem noblen Mann mit grauen Schläfen. Sehr missgestimmt, als ich die zu malenden Töpfe, Krüge und Schüsseln mit Orangen sah. Die Schüler hatten die Orangen aufgegessen und nur die verschrumpelten Schalen übriggelassen.

Abends Klee gelesen, das Pädagogische Skizzenbuch.

Morgens mache ich mir in der Küche etwas Wasser